Die Liebe am Nachmittag
–, wie er den Bauch einzieht und wieder vorschiebt, während ihm der Zuschneider das geheftete Jackett anprobiert, und wenn ihr die leise, aber leidenschaftliche Diskussion zwischen Zuschneider und Politiker verfolgen würdet, in der es darum geht, ob es so und so viel Zentimeter enger um die Taille werden sollte, wo der mittlere Knopf über dem Bauch zu sitzen hat, was der Zuschneider nun mit Stecknadeln markiert: mindestens fünfundzwanzig mal sticht der Arme weiter innen oder außen, weiter oben oder unten ein, bis seine Exzellenz überzeugt sind, dass der Sitz jetzt perfekt ist und das Jackett so fällt, als wäre überhaupt kein Bauch darunter; geruhen Exzellenz, sich nun im Spiegel zu betrachten? Die Exzellenz dreht sich vor dem dreigeteilten Spiegel, Zuschneider, Schneider und der alte Jackettschneidergehilfe stehen andächtig da, während der Herr Politiker oder der Medizinalrat oder der Bankier die Arme ausbreitet,seine Hüften begutachtet und sich mit zur Seite geneigtem Kopf, auf Zehenspitzen schwebend wie eine Puppenfee in Halbkreisen bewegt, in solchen Augenblicken halluziniere ich stets den süßen Walzer von Bayer.
Ach, dieser Bauch, den die Exzellenzen anhimmeln und zugleich zu verbergen trachten wie ihre Freundinnen.
Auch ein paar liebe Bekannte von mir haben sich ein Bäuchlein zugelegt, ich werde sie in diesem Leben nie mehr richtig umarmen können.
25. Nacht
Ich lerne und lerne.
Der eine oder andere meiner Bekannten hat plötzlich eine Warze im Gesicht.
Sogar manche, die im gleichen Alter sind wie ich. Natürlich habe ich die am schärfsten im Visier. Diesem hat sich die Warze neben den Nasenflügel, jenem aufs Kinn, einem dritten auf die Stirn platziert. Die Warzenbildung, so sagte mir einmal ein Arzt, hat beim Menschen auch mit der inneren Sekretion und dem Zustand der Nerven zu tun. Klar, auch ich kann Warzen bekommen; warte schon darauf, wann sich eine einstellt und wo. Auf dem Kinn, mitten im Gesicht, vielleicht genau auf meiner Nasenspitze? Es wird aussehen, als wäre ich mit diesem Makel schon auf die Welt gekommen. Ich werde mich daran gewöhnen müssen. Man kann sie auch wegnehmen lassen, ja.
Die Betroffenen sagen natürlich kein Wort über diese ihre Hauterhebungen; wiewohl ich mir gut vorstellen kann, dass sie, wer weiß wie oft schon, darüber sinniert haben, wenn sie in den Spiegel blicken mussten.
Im Allgemeinen werden Herren über vierzig fülliger, wie auch Baumstämme mit dem Alter an Umfang zunehmen. Sie benötigen dann mehr Stoff für ihre Anzüge, vier oder fünf Meter; so mancher von ihnen muss es schon spüren, dass die Schneiderrechnung mit der Zeit mehr ins Geld geht.
Letztes Jahr traf ich einen korpulenten ministeriellen Herrn, ich hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen; in seiner Konzipientenzeit, als auch er noch dem Nachtleben frönte, sind wir befreundet gewesen. Wir waren erfreut, umarmten uns und tätschelten uns gegenseitig den Rücken. Ach, habe ich meine Hand diskret zurückgezogen, spürte das Mieder über seiner Hüfte. Es war hart wie Beton. Er wurde verlegen,lachte mir dann aber ins Gesicht, als wollte er sagen: Hast es gemerkt, was? Die Miederfabrikation wird nicht aussterben.
Es gibt da irgendeine Veränderung, die ich bei Bekannten meines Jahrgangs registriere und die mich deprimiert. Sie reden nicht mehr so unbeschwert, so natürlich wie früher. Dieser Ministerialbeamte und andere Gutbürgerliche überfrachten das Gespräch auf ermüdende Weise mit
wenn du gestattest
oder
mit Verlaub
, und immer öfter sagen sie:
beliebt es dir
morgen, sie verbinden ihre Sprüche manchmal mit langen ööö-s und sagen: dieses Ding oder Dingsda oder wie soll ich sagen. Und aus ihrem Mund höre ich immer wieder: Ich bitte dich! oder Ich sage ja immer, mein Bester, bis Juni darf man einfach nicht ohne Überzieher ausgehen. Auch äffen sie das vornehme Gehabe der älteren Jahrgänge nach, sind müde im Kopf, und mir scheint, dass sie sogar etwas verblöden. Aber ich höre dieses
mit Verlaub
und
wie du beliebst
immer öfter auch bei Künstlern.
Erschreckend, dass man selbst hochgeschätzte ältere Künstler dabei erwischt,wie sie sich von solchen distinguierten Herren beeindrucken lassen, so hervorragende Künstlerpersönlichkeiten, die gleich nach dem Schöpfer rangieren.
Von einem vierundvierzigjährigen Herrn hörte ich die Erklärung, dass er sich mit keiner Frau auf eine Liebelei einlässt, die schon ein Kind hatte. Ich glaube, er ist erst jetzt so
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