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Die Liebe am Nachmittag

Die Liebe am Nachmittag

Titel: Die Liebe am Nachmittag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erno Szep
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wahr? Das ist doch gar nicht mehr lange.

36.   Nacht
    Früher Herbst ist jetzt und Nacht, ich schreibe am offenen Fenster, spüre von Zeit zu Zeit ein schwaches Ziehen im Knie; diese leichte rheumatische Malaise ist kein ausgesprochener Schmerz, eher so etwas wie die schlechte Laune eines Körperteils. Ein braunes Käferchen verirrt sich durchs offene Fenster zu mir herein, eilt übers Papier, schlägt seine Membranflügelchen auf, fliegt und summt, immer wieder aussetzend, um meinen Kopf; als wollte es mir mein Märchen summen.
    Um keinen Preis wollte Iboly darauf verzichten, mit mir zu lernen.
    Drei Tage später gingen wir wieder in den aufgelassenenFriedhof, wieder musste ich sie schrecklich quälen. Bei dieser Pariser Szene vergoss sie am Ende sogar ein paar Tränchen.
    Das ist wirklich kein Metier für mich.
    Ein paar Tage später habe ich das Kind noch einmal furchtbar malträtiert.
    Ich komme auf keinen grünen Zweig mit ihr.
    Aus dieser Iboly will und will keine Schauspielerin hervorschlüpfen.
    Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Dachte schon daran, vielleicht einmal zu Professor Tatai hinaufzugehen.
    Von Iboly wusste ich, dass ihr Lehrer im zweiten Akt keinen Auftritt hat.
    Gegen halb zehn schlich ich auf den Korridor des ersten Stocks hinauf, wo die Garderobe des Herrn Professors ist.
    Bat den Friseur nachzusehen, ob er allein wäre.
    Ja, zum Glück. Iboly hatte heute Abend keinen Termin bei ihm.
    »Hallo! Gott zum Gruß, mein Bester.« Der Lehrer Tatai erhob sich vom Sofa, um mir die Hand zu schütteln; er saß, noch halb kostümiert, die Brille auf der Nase, inmitten von allerlei Schriftkram, hatte eine gelbe Perücke auf dem Kopf, die Salonhose an und Lackschuhe, ansonsten aber war er in Hemdsärmeln.
    Störe ich Sie nicht?
    »Verbandskorrespondenz, bitte sehr, nichts Eiliges. Setzen Sie sich doch, mein Freund, vielleicht hier aufs Sofa, der Stuhl könnte schmutzig sein. Was verschafft mir die Ehre?«
    Professor Tatai ist Episodendarsteller. Schon als Schüler habe ich ihn bewundert. Damals, sagen wir mit fünfunddreißig, hat er das Gleiche gespielt wie heute als Sechzigjähriger. Ich bin an sein Gesicht so gewöhnt und habe seine Stimme so fest im Ohr, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie ein anderer Darsteller all diese ungarischen Figuren, die Franzosen, die Russen, aber doch vor allem Franzosen zu spielen vermöchte,die Tatai gestaltet hat. Dieser Herr Professor Tatai ist ein Schauspieler; ich meine, ganz gleich, wen und was er auch spielt, nie ist es irgendeine fremde Figur, mit der ich jetzt bekannt gemacht werde, immer ist er es, Tatai, immer der Gleiche, es ist immer seine Darstellungskunst. In der halben Stunde, die er auf der Bühne ist, kann er unterhalten, belustigen, wenn er in einem Lustspiel auftritt, und er kann auch zu Tränen rühren, sobald er Dramatisches spielt. Nicht bei der Jászai und nicht bei Hegedűs ist mir das jemals in den Sinn gekommen: Er ist so sehr Komödiant, dass er nichts anderes auf Erden hätte werden können als Schauspieler. Denn nur bei Tatai und seiner Art von Schauspielern, ob ich sie auf der Bühne oder ungeschminkt mit rasiertem Gesicht auf der Straße sah, hatte ich das Gefühl oder die Ahnung, sie spielten mit diesem Gesicht und dieser Stimme seit Ewigkeiten diese Rolle; und dann empfand ich, was vermutlich auch sie empfinden, nämlich: Es ist ganz selbstverständlich, dass sie Schauspieler geworden sind, und es ist absolut nicht zu verstehen, wenn jemand etwas anderes tut als Theaterspielen. So als wäre dies der wahre Beruf für einen Menschen, der einzig wahre. Warum jemand ausgerechnet Ingenieur oder Geschäftsmann ist oder auch nur Bergmann oder Bauer? Der Schauspieler ist alles in einem, der Schauspieler ist jeder, der Schauspieler ist die ganze Welt.
    »Tut mir leid, Verehrtester, ich kann Ihnen keine Zigarette anbieten, ich bin Zigarrenraucher«, meinte er, als ich mich zu ihm aufs Sofa setzte. Er hielt mir ein Zündholz unter meine Selbstgedrehte, der Herr Professor Tatai, und dann:
    »Hier, mein Herr, sehen Sie sich diese Stöße von Post an. Die Bittbriefe eines einzigen Tages an den Verband der Schauspieler.« Er rang die Hände: »Dieses Elend! Und hauptsächlich in der Provinz! Wir machen uns keine Vorstellung davon, mein Bester. Ich würde lügen, wenn ich sagte, es schnürt mir das Herz zusammen; seit zwanzig Jahren bin ich für die sozialenProbleme zuständig, und ich fühle mich inzwischen wie dieser kalte Heizkörper,

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