Die Liebe am Nachmittag
auf die Rolle zu konzentrieren, auf die Stichworte dieses Barons und von der Oly, mit denen die Zsuzsi einen Dialog hat.
Der arme Regisseur, der sich über Wochen Tag für Tag diese Texte anhören muss, und erst die arme Souffleuse, die monatelang Abend für Abend zweimal die großen Worte genießen kann, einmal aus ihrem eigenen Mund und einmal von den Lippen der Darsteller.
Heimlich stehle ich mich mit meinen Blicken kurz weg, sehe den hektisch umhersegelnden Schwalben nach; freue mich an der aufgewachten Hummel, die mit Celloton um unsere Köpfe brummt, unterbreche das Abhören, während ich das Insekt mit meinem Stock verscheuche; dann äuge ich, während Iboly deklamiert, zur Kapellentür hinüber; die verfallende Kapelle ist verschlossen,die Tür mit Kreide bekritzelt, ich versuche die Schrift zu entziffern. Es sind nicht die Botschaften von Verliebten, Pärchen verirren sich kaum hierher; dieser Friedhof hat keine lauschigen Winkel und auch keine Bänke; an der Tür sind offensichtlich die Hinweise der Fußball spielenden Buben für das nächste Treffen notiert.
Iboly merkte, dass ich zerstreut war.
»Woran denken Sie?«
An gar nichts, mein Kind, an überhaupt nichts. Lass uns weitermachen.
Ich denke tatsächlich an nichts; nur setzt sich da irgendeine Stimmung als Bodensatz in meiner Seele ab, wie der Zuckerrest in der Kaffeetasse. Doch süß ist meine Stimmung nicht.
Derart geht unser Lernen vonstatten, bis wir im gegenseitigen Einvernehmen Schluss machen, diesmal vielleicht etwas früher als sonst. So bleibt uns noch etwas Zeit, ich streife mit Iboly ein wenig umher, und wir wagen uns auch über die stille Csend-Gasse hinaus, kleine Seitenstraßen stechen hier in die flache Landschaft hinein, wo sich da und dort schon eine alleinstehende Villa spreizt; und dort drüben schneidet sogar ein Fahrweg hinein. Als wir, eine kleine Gespielin und ich, seinerzeit auf dem Friedhof herumstrolchten, wuchs ringsum noch wildes Gesträuch, hier und da eine verfallende Hütte dazwischen und barfüßige Mädchen vom Stadtrand beim Ziegen- und Gänsehüten. Schön,dass es in all dem Elend noch so viele Bürger gibt,die sich behäbige Villen bauen lassen können, um sich anschließend bei jenen zu beklagen, die gar nichts haben: Diese unerträglichen Lasten, mein Lieber, sind kaum noch zu schultern. Manchmal muss ich mir mit schuldbewusstem Gesicht anhören, wenn ein mit acht Mietshäusern geschlagener Bekannter über dreißigerlei Steuern klagt und mich aufrichtig beneidet, der ich es verstehe, mit allerlei Tricks dem Verhungern zu entgehen.
Als beim Herumstromern der Reihe nach die Straßenlaternen aufleuchteten, grüßte ich zu einer dieser Lampen hinauf: Guten Abend! Und sagte zu Iboly, willst du nicht auch grüßen? Und sie sah zu einer Laterne hoch:
»Guten Abend.«
Und zu einer zweiten:
»Guten Abend.«
Dann lachte sie mir ins Gesicht. Erriet, warum ich sie grüßen ließ:
»Guten Aabend. Guten Aabend. Guten Aabend. War es richtig so?«
Richtig, meine Kleine.
Aber nein. Es ist nicht gut. Sie grüßt genauso falsch wie damals, als ich anfing, sie damit zu quälen. Nur die erste der Laternen hat sie ungekünstelt begrüßt.
Aber ich wollte die Arme jetzt nicht mehr traktieren.
Auch an den weiteren Unterrichtstagen war ich sehr nachsichtig mit ihr.
Saß an ihrer Seite und leierte wie ein Automat die Stichworte für ihre Einsätze herunter.
Zustimmend nickte ich zu ihren kleinen Ausbrüchen und Pointen, so als fielen sie ganz zu meiner Zufriedenheit aus.
Klopfte ihr ermutigend den Rücken, tätschelte ihr die Hand, so dass sie sich freute.
Sie ist begeistert, glücklich und glaubt so sehr an sich.
Manchmal quiekt sie vor Freude, hüpft mit dem ganzen Rumpf hoch, als hätte sie ein Gummikissen und nicht den starren Grabstein unter sich. Sie macht das oft, wenn sie sich freut, auch wenn sie auf einer Holzbank sitzt oder beim Essen auf einem Stuhl.
Es kam vor, dass ich das Stichwort für ihren Einsatz verpasste oder mich, wenn sie eine längere Textstelle hatte, in der Rolle verfing und vor mich hin sinnierend vergaß, dass ich an der Reihe war.
Das endete immer mit großem Gelächter.
Sie merkt nicht, wie schwer es mir fällt, aufmerksam zu sein, und dass ich manchmal gar nicht mitkriege, was sie vor sich hinpiepst. Dass mich das Ganze eigentlich gar nicht mehr kümmert.
Einmal, zweimal, kam ich mit ihr noch zum Friedhof. Ich hatte das Bestreben, diese Lernerei möglichst bald zu beenden. An einem
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