Die Liebe deines Lebens
mich.
»Und ich hoffe, die Polizei wartet an der Gangway auf sie. Eigentlich könnte ich sogar die Polizei anrufen und Bescheid sagen.«
Das gefiel mir deutlich weniger.
»Vielleicht gibt es jetzt wenigstens keine Party«, sagte ich leise und fühlte mich sofort schlecht, weil ich versuchte, im Tod eines geliebten Menschen auch etwas Positives zu entdecken. Aber ich fand, dass Adam unbedingt einen Silberstreifen am Horizont brauchte.
»Machst du Witze? Die Party wird garantiert nicht abgesagt – das ist doch die große Chance zu beweisen, dass wir so stark und kompetent sind wie immer.«
»Oh. Gibt es irgendwas, was ich tun soll?«
»Nein, danke.«
Er schwieg, sah aus dem Fenster, und ich stellte mir vor, dass er jede Szene da draußen in sich aufnahm und sich an dem Gefühl festzuhalten versuchte, dass wir nicht an dem Ort waren, vor dem es ihm graute – als könnte er das Auto mit Gedankenkraft bremsen. Ich überlegte, ob er mich überhaupt bei sich haben wollte. Nicht dass das irgendwelche praktischen Auswirkungen gehabt hätte – ich würde nicht von seiner Seite weichen, komme, was wolle –, aber es wäre leichter gewesen zu wissen, dass er es wollte. Vermutlich eher nicht. Vermutlich hätte er es vorgezogen, mit seinen Gedanken allein zu sein, und genau diese Gedanken waren es, die mir große Angst machten.
»Oder eigentlich doch«, sagte er plötzlich. »Wärst du bereit, diesen Text vorzutragen, den du bei der Beerdigung von Amelias Mutter gelesen hast?«
Ich staunte. Nach der Beerdigung damals hatte er nicht viel dazu gesagt, er hatte mich lediglich gefragt, ob ich den Text selbst verfasst hatte. Aber ich war tief gerührt. Diesen Text vorzulesen, bedeutete mir unendlich viel. Ich sah aus dem Fenster und blinzelte die Tränen weg, so gut es ging.
Wir fuhren über kleine Landstraßen, die Landschaft war grün und üppig, voller Leben, selbst an diesem eisigen Morgen. Es war eine Pferdegegend, man sah Trainer und Ställe, gutes Weideland, sei es für Rennpferde oder Showpferde, man konnte in dieser Gegend mit beidem viel Geld verdienen – wenn man es denn nicht mit Süßwarenherstellung tat. Pat war kein sehr umsichtiger Fahrer, vor scharfen Kurven drosselte er kaum das Tempo, und ich hatte den Verdacht, dass er ziemlich wahllos nach rechts und links abbog. Nervös grub ich die Fingernägel in die feudalen Ledersitze.
Ich sah zu Adam, ob es ihm genauso erging, und erwischte ihn dabei, dass auch er mich ansah.
Aber er räusperte sich nur und schaute schnell weg. »Ich habe … weißt du, dass dir ein Ohrring fehlt?«
»Was?« Ich befühlte mein Ohrläppchen. »O nein.« Hektisch suchte ich meine Kleidung ab und schüttelte alles, was sich schütteln ließ, in der Hoffnung, dass er irgendwo herausfiel. Ich musste ihn finden. Verzweifelt bückte ich mich und suchte auf allen vieren den Boden des Autos ab.
»Vorsicht, Christine«, warnte Adam, und ich spürte seine Hand auf meinem Kopf, als Pat wie üblich rasant eine Kurve nahm.
»Die haben meiner Mutter gehört«, erklärte ich, beugte mich auf seine Seite und schob seine Füße weg, um auch dort den Boden zu kontrollieren.
Adam zuckte zusammen, als fühle er meinen Schmerz am eigenen Leib.
Die Suche war erfolglos. Schließlich gab ich auf und setzte mich wieder, mit knallrotem Gesicht, völlig durcheinander. Für eine Weile war mir die Lust zu reden vergangen.
»Erinnerst du dich eigentlich noch an sie?«
Ich sprach kaum einmal von meiner Mutter, aber das war keine bewusste Entscheidung. Sie hatte nur eine so kurze Zeit zu meinem Leben gehört, dass ich fast gar keinen Bezug zu ihr hatte. Sosehr ich auch versuchte, sie vor meinem inneren Auge heraufzubeschwören, ich wusste fast nichts über sie und hatte demzufolge wenig zu erzählen.
»Diese Ohrringe gehören zu den ganz wenigen Erinnerungen, die ich an sie habe. Ich hab manchmal auf dem Badewannenrand gesessen und ihr zugeschaut, wenn sie sich zum Ausgehen fertig gemacht hat. Beim Schminken hab ich besonders gern zugesehen.« Ich schloss die Augen. »Ich kann sie vor mir sehen, wie sie am Spiegel stand, die Haare hochgesteckt. Und sie hat diese Ohrringe getragen, aber immer nur zu ganz besonderen Anlässen.« Ich fingerte an meinem nackten Ohrläppchen herum. »Schon komisch, woran man sich erinnert. Auf den Fotos kann ich ja sehen, dass wir auch viele andere Dinge zusammen gemacht haben, und ich habe keine Ahnung, warum ich mich ausgerechnet an diese Augenblicke erinnere.« Einen
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