Die Liebe deines Lebens
frisiert, ihre Stirn unnatürlich faltenfrei, ihre Lippen voll und frisch aufgespritzt. Ihr Ehemann wirkte deutlich älter, obwohl sie eigentlich gleichaltrig waren – die Probleme der letzten Zeit und vor allem die drohende Gefängnisstrafe hatten ihn in einen grauhaarigen, blassen älteren Mann verwandelt. Neben ihm standen die Kinder, zehn und acht Jahre alt, und auf ihren kleinen Gesichtern war keine Trauer um einen liebevollen Großvater zu erkennen – für sie hatte er praktisch nicht existiert.
Etwas weiter entfernt klickten eifrig die Kameras. Paparazzi und Nachrichtenfotografen wetteiferten um das beste Foto des in Ungnade gefallenen Geschäftsmanns, der nach Irland zurückgekehrt war, um seinen Schwiegervater zu begraben. Menschen wie Lavinia machten mir Angst. Kalt, berechnend, emotional verkümmert, aber unbezwingbar, erinnerten sie mich an Kakerlaken, die alles taten, um zu überleben, auch wenn es bedeutete, ihre Konkurrenten zu vernichten – selbst wenn es sich bei diesen Konkurrenten um ihre Nächsten und Liebsten handelte. Ihre Art zu denken war für mich unnatürlich. Ich teilte Adams Überzeugung, dass auch seine Schwester in die Betrügereien verwickelt war, aber ihren Mann irgendwie dazu gebracht hatte, sich ins Schwert zu stürzen und sie zu entlasten. Es war ein strategischer Schachzug, der nichts mit Schuld und Sühne zu tun hatte, sondern nur mit der Tatsache, dass Lavinia ihr Erbe erst bekommen würde, wenn sie zehn Jahre in der Firma gearbeitet hatte.
Auf Adams Wunsch hin hatte ich meinen Text vorgelesen, und als der Gottesdienst zu Ende war, kam Lavinia zu mir und sah mich von oben herab an.
»Hübscher Text, sehr anrührend«, meinte sie mit einem Schmunzeln, als fände sie es amüsant, dass etwas anderes als ein Gerichtsbeschluss in ihr Rührung auslöste.
Ich fand die Beerdigung schrecklich, und auch der ganze restliche Tag war schwer zu ertragen. Zum Teil wurde ich einfach ignoriert, dann wieder wurde mir Beileid ausgesprochen für einen Verlust, der nicht meiner war. Alte Frauen mit faltigen Gesichtern drückten mir die Hände und bemühten sich, mir zu verstehen zu geben, dass sie meinen Schmerz verstanden, wo mein einziger Schmerz daher rührte, dass sie mir fast die Finger zermalmten.
Als der Sarg in die Erde hinabgesenkt wurde, spürte ich eine Veränderung in Adam, seine Schultern begannen zu zucken, seine Hand bewegte sich zum Gesicht. Ich war eigentlich sicher, dass er in diesem Moment allein sein wollte, aber ich konnte nicht anders, ich griff nach seiner freien Hand und hielt sie fest. Überrascht starrte er mich an, und ich sah, dass seine Augen vollkommen trocken waren. Er grinste von einem Ohr zum anderen, was er hinter seiner Hand zu verbergen versuchte. Schockiert schaute ich ihn an und versuchte ihm durch Blicke zu verstehen zu geben, dass er damit aufhören musste. Nicht nur die Blicke der Trauergemeinde, auch jede Menge Kameras waren auf ihn gerichtet, aber das führte nur dazu, dass ich plötzlich auch den Drang verspürte zu lachen. Zu lachen, wenn der eigene Vater ins Grab hinuntergelassen wurde, war vermutlich das Allerunpassendste der Welt, aber gerade deshalb war es umso schwerer, das Lachen zu unterdrücken.
»Was war das denn?«, fragte ich Adam, als die Menge sich zu zerstreuen begann und wir uns durch die Kondolierenden einen Weg zum Auto bahnten. Da Lavinia und Adam nicht im gleichen Wagen sitzen wollten, gab es keine Familienlimousine, und als Haupttrauernde fuhr Lavinia mit Maurice und den Kindern vorneweg, während Pat uns, wortlos wie immer, im Wagen von Mr Basil chauffierte, der nominell jetzt Adam gehörte. Aber Lavinia hatte bereits angekündigt, dass sie nicht vorhatte, das unangefochten hinzunehmen.
»Tut mir leid, mir ist nur so ein Gedanke durch den Kopf gegangen«, antwortete er, grinste schon wieder, und das nächste Lachen blubberte unter der Oberfläche. »Ich werde nicht so tun, als wäre ich traurig, Christine. Ich meine, ich bin natürlich traurig, dass mein Vater gestorben ist. Heute ist ein trauriger Tag, aber ich habe nicht vor, rumzujammern und mich aufzuführen, als würde meine Welt zusammenbrechen. Dafür werde ich mich auch bei niemandem entschuldigen. Ob du es glaubst oder nicht, man kann nach dem Tod eines geliebten Menschen ein voll funktionsfähiges menschliches Wesen sein.«
Seine Stärke überraschte mich. »Dann sag mir doch mal, was du so komisch fandst, als dein Vater für alle Ewigkeit in die Erde gesenkt
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