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Die Liebe deines Lebens

Die Liebe deines Lebens

Titel: Die Liebe deines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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die Wangen.
    Ich musterte ihn aus dem Augenwinkel. Er schluckte und senkte den Blick, dachte wahrscheinlich über das nach, was ich gesagt hatte, und wog seine Alternativen gegeneinander ab. Leben oder Sterben. Vorsichtig warf ich einen Blick zurück zu den Brückenaufgängen am Bachelor’s Walk und am Wellington Quay. Immer noch keine Polizei, immer noch niemand, der bereit war, mir zu helfen. Inzwischen war ich eher froh darüber, denn ich hatte es geschafft, Kontakt mit diesem Mann aufzunehmen, ich wollte nicht, dass jemand ihn ablenkte, ihn in Panik versetzte, ihn wieder in Verzweiflung brachte. Ich überlegte, was ich als Nächstes sagen könnte, etwas, was die Zeit überbrückte, bis professionelle Hilfe kam. Irgendetwas Positives, das in ihm keine Wut auslöste. Aber ich musste gar nichts sagen, denn er kam mir zuvor.
    »Ich habe einen Artikel über einen Mann gelesen, der letztes Jahr in den Fluss gesprungen ist. Er war betrunken und wollte eigentlich nur schwimmen gehen, aber dann ist er unter einen vorbeitreibenden Einkaufswagen geraten, und die Strömung hat ihn ergriffen. Er kam nicht mehr raus«, sagte er, und seine Stimme war heiser.
    »Und fanden Sie das gut?«
    »Nein, überhaupt nicht. Aber danach ist es vorbei. Nachdem man das hinter sich gebracht hat, ist einfach Schluss.«
    »Oder es ist der Anfang einer neuen Qual. Denn wenn Sie erst mal im Wasser sind, kriegen Sie Panik, ganz gleich, wie sehr Sie sich den Tod wünschen. Dann kämpfen Sie gegen das Ertrinken. Sie ringen nach Luft, Ihre Lungen füllen sich mit Wasser, denn auch wenn Sie nicht mehr leben wollen, ist Ihr Überlebensinstinkt intakt. Tief im Innern wollen Sie am Leben bleiben. Aber das Wasser dringt in Ihren Kehlkopf ein, und Sie gehorchen Ihrem Instinkt und schlucken es. Durch das Wasser in Ihren Lungen wird Ihr Körper schwerer, und wenn Sie es sich dann doch anders überlegen und weiterleben wollen, schaffen Sie es nicht mehr an die Oberfläche. Außerdem sind eine Menge Leute hier, die ins Wasser springen und versuchen werden, Sie zu retten. Und wissen Sie, was? Sie denken, dann ist sowieso alles zu spät, aber das stimmt nicht, denn das Herz wird weiterschlagen, auch wenn Sie nicht mehr bei Bewusstsein sind. Dann zieht man Sie aus dem Fluss, Sie bekommen Mund-zu-Mund-Beatmung, das Wasser wird ausgepumpt, Sie bekommen wieder Luft in die Lungen. Womöglich werden Sie gerettet.«
    Er zitterte, und das nicht nur wegen der Kälte.
    Auf einmal spürte ich, wie sein Körper in meinen Armen ganz schlaff wurde.
    »Ich möchte doch nur, dass es aufhört«, sagte er, und seine Stimme zitterte. »Es tut so weh.«
    »Was tut weh?«
    »Speziell? Das Leben.« Er lachte matt. »Aufwachen ist der schlimmste Teil des Tages. Schon seit langem.«
    »Warum unterhalten wir uns nicht anderswo darüber?«, sagte ich besorgt. Sein Körper wurde wieder starr. Vielleicht war es keine gute Idee, über seine Probleme zu reden, während er am Rand einer Brücke hing. »Ich möchte alles hören, was Sie zu sagen haben, lassen Sie uns runtergehen.«
    »Es ist einfach zu viel.« Er hatte die Augen geschlossen und sprach mehr zu sich selbst als zu mir. »Ich kann die Dinge nicht ändern. Es ist zu spät«, sagte er leise und neigte den Kopf nach hinten, so dass er an meiner Wange lag. Wir waren uns seltsam nah für zwei wildfremde Menschen.
    »Es ist nie zu spät. Glauben Sie mir, Ihr Leben kann sich ändern. Dafür können Sie sorgen. Und ich kann Ihnen dabei helfen«, erwiderte ich, kaum lauter als ein Flüstern, denn ich hatte keinen Grund, lauter zu sprechen, sein Ohr war direkt an meinem Mund.
    Er blickte mir in die Augen, und ich konnte nicht wegschauen, ich war wie gebannt. Er wirkte so verloren.
    »Und was passiert, wenn es nicht funktioniert? Wenn sich nichts verändert?«
    »Das wird es.«
    »Aber wenn nicht?«
    »Ich sage Ihnen doch, dass es passiert.«
Hol ihn von der Brücke, Christine!
    Er musterte mich, und sein Kiefer spannte sich an, während er nachdachte. »Und wenn nicht, dann tu ich es, das schwöre ich«, drohte er. »Nicht hier vielleicht, aber ich finde eine Möglichkeit. Denn wenn es so bleibt, wie es jetzt ist – das mache ich nicht mehr mit, auf gar keinen Fall.«
    Ich wollte nicht, dass er sich mit dem befasste, was ihn hierhergeführt hatte – was immer es sein mochte. »Gut«, meinte ich zuversichtlich und selbstbewusst. »Wenn Ihr Leben sich nicht verändert, steht es Ihnen frei zu entscheiden, was Sie dann tun. Aber ich sage

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