Die Liebe deines Lebens
Souterrainwohnung zu ziehen, statt sich allein um das große Haus zu kümmern, und nach ihrer Ausbildung stiegen meine beiden großen Schwestern in die Firma mit ein. Ich hatte mich schrecklich vor dem Tag gefürchtet, an dem ich ihm würde gestehen müssen, dass ich nicht ins Familiengeschäft einsteigen wollte, aber Dad reagierte mehr als verständnisvoll – ja, er
wollte
nicht einmal, dass ich mitmachte.
»Du bist eine Denkerin«, sagte er. »Wir sind eher Macher. Deine Schwestern sind wie ich, wir handeln. Du bist wie deine Mutter, du denkst. Also such dir was, wo du denken kannst.«
Brenda hatte sich auf Eigentumsrecht spezialisiert, Adrienne auf Familienrecht, und mein Vater mochte am liebsten das Verkehrsund vor allem das Unfallrecht, weil er glaubte, dass sich damit am meisten Geld machen ließ. Sie residierten in der obersten Etage, mein Büro war im ersten Stock, neben einem Buchhalter, der schon seit zwanzig Jahren dort arbeitete, in der Schreibtischschublade eine Flasche Wodka versteckte und überzeugt war, dass niemand davon wusste. Der Geruch im Zimmer und sein Atem waren unverkennbar, aber ich hatte es auch noch von Jacinta erfahren, der Putzfrau, die allen Klatsch aus den vermieteten Büros an Dad weitergab. Zwar hatten sie nie darüber gesprochen, aber es bestand die schweigende Übereinkunft, dass Dad Jacinta umso besser bezahlte, je mehr Informationen sie lieferte.
Im Erdgeschoss war die Fluktuation in den letzten Jahren so groß gewesen, dass ich die Leute, denen ich auf dem Flur begegnete, gar nicht mehr kannte. Wegen der Rezession zogen die Mieter ebenso schnell wieder aus, wie sie eingezogen waren, und im Souterrain, wo meine Großtante Christine ihre letzten Jahre verbracht hatte, war erst eine Versicherungsgesellschaft gewesen, dann ein Börsenmakler und schließlich ein Büro für Graphikdesign. Und zurzeit wohnte nun ich dort. Mein Vater hatte sich, wenn auch ziemlich widerwillig, bereiterklärt, die Räume an mich zu vermieten und sie für mich zu möblieren, und am Tag meiner Ankunft fand ich im Schlafzimmer ein schmales Bett, in der Küche einen Stuhl und im Wohnzimmer einen Sessel vor. Den Rest hatte ich mir selbst zusammensuchen und dafür die Häuser meiner Schwestern plündern müssen. Brenda fand es unglaublich witzig, mir die Spiderman-Bettwäsche ihres Sohns zu überlassen, und dachte wohl, das würde mich bestimmt aufheitern, aber dass sie meinte, ich wäre auf so etwas angewiesen, deprimierte mich eher noch mehr. Bettwäsche konnte ich mir selbst leisten, daher nahm ich mir in den ersten Tagen immer wieder vor, sie zu ersetzen, aber dann vergaß ich es ständig, und inzwischen fiel sie mir überhaupt nicht mehr auf.
Im Nachbarhaus befand sich ein Buchladen,
The Book Stand
, auch bekannt als
The Last Stand
, denn er beharrte trotzig darauf, nicht schlappzumachen, auch wenn sämtliche kleinen Buchläden im Umkreis von mehreren Meilen gezwungen gewesen waren zu schließen. Der Laden gehörte meiner Freundin Amelia, und ich war ziemlich sicher, dass er sich nur über Wasser halten konnte, weil ich alle meine Bücher dort bestellte – ansonsten war der Laden nämlich fast immer leer. Amelia hatte nur wenige Bücher vorrätig, was für Stöberer nicht besonders attraktiv war. Amelia wohnte über dem Laden, mit ihrer Mutter, die wegen eines Schlaganfalls rund um die Uhr gepflegt werden musste. Wenn es im Laden klingelte, kam es meistens nicht von der Tür, durch die ein neuer Kunde gekommen war, sondern es war Amelias Mutter, die irgendetwas brauchte. Amelia hatte sich schon als Kind um sie gekümmert, und meiner Meinung nach hätte sie – wie die meisten aufopfernden Pflegepersonen – dringend Urlaub und selbst ein bisschen liebevolle Zuwendung brauchen können. Im Verhältnis zu dem, was sie tagaus, tagein mit der Pflege ihrer Mutter leistete, für die sie praktisch lebte und atmete, erschien Amelias Arbeit im Buchladen beinahe sekundär.
»Hallo, Süße!« Amelia, die sich die Zeit in dem leeren Laden mit Lesen vertrieben hatte, sprang von ihrem Hocker auf und spähte neugierig über meine Schulter hinweg zu Adam, der hinter mir hereingekommen war.
»Ich dachte, du wolltest im Auto warten«, sagte ich zu ihm.
»Du hast vergessen, mir ein Fenster offen zu lassen«, entgegnete er trocken und sah sich im Laden um.
»Adam, das ist Amelia. Amelia, das ist Adam. Er ist … ein Klient.«
»Oh«, meinte Amelia enttäuscht.
Ich wusste, was ich wollte, und ging direkt zum
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