Die Liebe der anderen
gesprochen habe. Wer könnte sie besser beantworten als er, der seit zwölf Jahren das Leben mit mir teilt? In den vergangenen sieben Wochen hatte ich nie so sehr das Bedürfnis, ihm alles zu sagen, wie jetzt. So sehr, dass ich nicht einmal mehr vor den Konsequenzen meiner Lügen zurückschrecke. Alles scheint mir erklärbar. Vielleicht habe ich nun eine ausreichende Bindung zu ihm, um nicht mehr nur einen Fremden oder Verdächtigen zu sehen. Ich muss das Heft wiederfinden, von dem er mir erzählt hat. Danach, wenn ich weiß, dass es Worte zu den Dingen gibt, die mich umtreiben, kann ich sie benennen oder verschweigen.
Plötzlich merke ich, dass Pablo im Türrahmen steht und mich ansieht.
»Du bist in letzter Zeit so nachdenklich … Ich habe dich heimlich beobachtet. Worüber machst du dir Sorgen, Marie? Ich habe dich noch nie so verschlossen erlebt. Es ist so verrückt, an der Seite einer Frau zu leben, die man wirklich zu kennen glaubt, und keine Ahnung zu haben, was ihr durch den Kopf geht. Dein Anblick verscheucht sogar meine Müdigkeit.«
Ich lache. Diese Art von Geständnissen, die mir vor kurzem noch Angst machten, stimmen mich heute fröhlich.
»Du hast ja jetzt mehrere Wochen lang die Gelegenheit, mich zu beobachten. Wer weiß, vielleicht findest du ja noch heraus, wer die Frau ist, die du geheiratet hast, oder wer die andere hinter der, die du kanntest …«
Wir kuscheln uns aneinander. Es ist spät, eine laue Nacht, und ich habe Pablo gefragt, ob es ihn stört, wenn ich das Fenster öffne. Ich liege in seinen Armen und lasse dieWohlgerüche des Südens in meine Lungen dringen. Ich gleite in einen süßen Schlummer.
»Marie, schläfst du?«
»Ja, fast«, brumme ich.
»Marie, ich möchte noch ein Kind von dir.«
Na, mit dem Mann sollte ich wirklich dringend reden. Obwohl dieses Bekenntnis mir einen Schauer über den Rücken jagt, muss ich in der Dunkelheit unwillkürlich grinsen: Wie es wohl sein mag, das vierte Kind auf die Welt zu bringen, wenn man sich an die vorigen drei Male nicht erinnert?
Ich habe geschlafen, wie in jener berühmten Nacht, als mein Gedächtnis sich auf und davon machte … Ohne zu träumen, ohne aufzuwachen. Am Morgen wusste ich nicht gleich, wo ich war, konnte mich nicht mehr an das Zimmer erinnern. Erst nach einigen Sekunden der Panik kam mir der Ort in den Sinn, an dem ich eingeschlafen war.
Süden. Die Kräuter im Garten, die warme Sonne, die meine im Laken verwickelten Beine umhüllt, und der Duft von Kaffee.
Danach dringt ein ganzes Feuerwerk von Geräuschen zu mir herein, als würden meine Sinne einer nach dem anderen erwachen. Das Galoppieren eines Pferdes, Wind in den Ästen, Kindergeschrei, eine quietschende Schaukel, das Bellen eines Hundes, die Zikaden. Pablos Stimme, er spricht mit einem Mann, der seinem Akzent nach hier aus der Gegend stammen muss.
Meine Tür knarrt. Ein winziges Fräulein mit zerzausten Haaren kommt auf mein Bett zu. Ich rühre mich nicht. Zarte Fingerchen streichen über meine Wange … Dann halte ich es nicht mehr aus. Ich nehme Zoé in die Arme, drücke sie an mich und küsse sie ab. Sie schüttet sich aus vor Lachen. Ein paar Minuten später gesellt sich Pablo zu uns.
»Aha! Die Größte und die Kleinste sind aufgewacht. Dann können wir ja jetzt frühstücken … Zoé, ich habe ein Fläschchen für dich gemacht.«
Das Zauberwort. Zoé krabbelt aus meinem Bett und rennt zu ihrem Vater. Er haucht mir einen Kuss zu, bevor er die Kleine zu dem begehrten Fläschchen begleitet.
Ich stehe auf und öffne die Fensterläden. Sonnenlicht durchflutet das Zimmer. Ein innerer Freudenschrei: Der Garten ist wundervoll, hügelig, voller versteckter Winkel und kleiner Oasen. Ich entdecke eine Hängematte, unter einer Gartenlaube steht ein Tisch, es blühen Flieder und Glyzinien. Ich erkenne den Geruch der Vergangenheit. Eine Mischung aus Thymian und Glyzinien. Rechts eine Remise aus Stein – könnte ein Gärtnerschuppen sein –, dahinter fliegt eine Schaukel durch die Luft, mit Lola, die sich lachend von Youri anstoßen lässt. Begrenzt wird das Grundstück durch einen Wald.
Pablo legt seine Arme um meine Taille.
»Ich habe geschlafen wie ein Murmeltier, und du?«
»Ich auch. Ich bin sehr glücklich, dass wir hier sind …« Ich würde ihm gern mehr sagen, doch irgendetwas schnürt mir die Kehle zu.
»Wirst du wieder schreiben?«
»Mal sehen, ich werde es auf mich zukommen lassen. Zeit mit dir verbringen. Sie dir rauben.« Meine Hände
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