Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
letzten Wochen. Zu allem Überfluss kann Renata Elßlin nicht wirklich helfen. Derzeit taugt sie nicht einmal mehr zum Wasserholen am Brunnen. Eigentlich müsste sie von früh bis spät beaufsichtigt werden. Das aber kann niemand von uns, oder traut Ihr Euch zu, im Falle eines Falles rechtzeitig zu verhindern, dass sie nächtens ein weiteres Mal lauthals ›Feuer!‹ schreiend durch die Straßen rennt und die anderen Bürger in Angst und Schrecken versetzt? Wenn sie noch einmal von den Bütteln im Ratskeller festgesetzt wird, werden wir sie wohl kaum ein zweites Mal herausholen können.«
Sie raffte ihren Rock und wollte endlich weitergehen. Es war höchste Zeit, nach Hause zu gelangen. Mit Grauen dachte sie daran, wie die vierzehnjährige Elßlin allein in der Küche hantierte, um das Mittagessen für die hungrigen Männer zu bereiten. Unglaublich, dass Gret das Mädchen allein gelassen hatte. Noch dazu nur, um ihr solche Frechheiten an den Kopf zu werfen. Aber die sollte sich noch wundern. Gleich bei der Suppe würde sie Wenzel Selege davon berichten. Veit Singeknecht und Jörg Selege sollten ruhig mit anhören, wessen sich die junge Frau erdreistete.
Die von neuem aufflammende Wut beschleunigte ihre Schritte. Im Handumdrehen erreichte sie das Holztor an der Stadtgrenze zwischen Löbenicht und Altstadt. Die Schlange der Wartenden war lang. Feuchter Nebel hüllte die dick vermummten Gestalten ein. Hätte man es nicht besser gewusst, hätte man eher auf November denn auf Mitte Mai getippt. Einzig die grünen Blätter der Efeuranken sowie die aus den Mauerritzen sprießenden Blüten erinnerten daran, dass der Frühling unlängst schon einmal verschwenderischen Einzug in die Stadt gehalten hatte.
Weinend suchte ein kleines Mädchen Schutz unter dem Mantel seiner Mutter. Ein Mann mit einer schweren Kieze auf dem Rücken schob die beiden ungeduldig beiseite, woraufhin ein anderer heftig protestierte. »Was fällt Euch ein! Wir alle wollen schnell durchs Tor. Wartet gefälligst, bis Ihr an der Reihe seid.« Die meisten Umstehenden stimmten ihm zu, ein Jüngling aber versuchte frech die Empörung zu nutzen, um ein Stück weiter nach vorn zu gelangen. Mathilda tat es ihm nach und zwängte sich ebenfalls geschickt an den Streitenden vorbei. Überraschend flink blieb Gret ihr auf den Fersen. Schon wollte sie sich umdrehen und sie beschimpfen, da unterdrückte sie diesen Wunsch gerade noch einmal. Am Ende fing Gret mitten im Getümmel vor dem Tor noch einmal mit ihren unverschämten Unterstellungen an. Im Schatten des Jünglings erreichte sie ein Fuhrwerk. Daran kam sie beim besten Willen nicht vorbei und musste stehen bleiben. Zu ihrem Verdruss steckte der Fuhrmann mitten in einem längeren Streitgespräch mit den Torwachen.
»Kunz, sei nicht so griesgrämig. Jeden Tag komme ich hier vorbei, ohne dass du die Säcke auf meinem Karren nachzählst. Warum willst du ausgerechnet heute damit anfangen, wo es regnet und kalt ist? Die Leute werden dir den Kopf einschlagen, wenn sie deshalb länger in der Kälte stehen.«
Zu seiner Bestätigung schnaubte der Zugochse verächtlich, woraufhin der zweite Wachmann seinem Kumpan etwas ins Ohr flüsterte. »Was treibt Ihr da vorn?« – »Sollen wir im Regen erfrieren?« – »He, Fuhrmann, siehst du nicht, dass du alles aufhältst?« Die Wartenden empörten sich immer lauter. Darüber geriet der Ärger über den drängelnden Mann mit der Kieze in Vergessenheit.
Mathilda wurde das alles zu viel. Aus den nassen Umhängen der immer dichter beieinanderstehenden Leute stank es. Jemand schubste sie in eine Pfütze. Die eisige Dreckbrühe schwappte in ihre Schuhe. Angewidert versuchte sie einen Schritt zur Seite zu treten, stieß dabei gegen Gret, die sie grinsend ansah. Auf der anderen Seite stand der Jüngling, der ihr den Weg gebahnt hatte. Unter seiner Kapuze schnitt er ein unfreundliches Gesicht. Ihr wurde unbehaglich zumute. Sie holte tief Luft, dann schubste sie Gret beiseite und zwängte sich zwischen Fuhrwagen und Mauerwerk des Stadttores nach vorn zu den Wachen. Lautstarker Protest ertönte hinter ihr. »Was fällt Euch ein?« – »Nur weil Ihr einen Pelzkragen habt, seid Ihr nicht eher an der Reihe.« – »Schaut Euch die andere an, die macht es ihr nach!«
Ohne sich umzudrehen, wusste Mathilda, dass sie Gret nicht losgeworden war. Das steigerte ihre Wut. Böse blitzte sie den Wachmann an, der ihr mit der Pike den Durchgang versperrte.
»Wisst Ihr nicht, wer ich bin? Mein
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