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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Augen, ließ das gerade Erlebte auf sich wirken. Plötzlich stieg auch der Schafgarbentraum wieder in ihr auf. So deutlich, als stünde er leibhaftig vor ihr, sah sie Veits kantiges Gesicht, fühlte den Blick seiner grünbraunen Augen in den eigenen brennen. Hastig riss sie die Augen wieder auf. Renata hatte recht, sie musste endlich wieder auf ihren eigenen Lebensweg zurückfinden. Erleichterung breitete sich in ihr aus.
    Zugleich erfasste sie ein ungeheurer Tatendrang. So notwendig sie sich ihrer inneren Stimme stellen musste, ebenso notwendig musste sie auch im Äußeren alles tun, um mit der Last der Vergangenheit aufzuräumen.
    2
    E iligen Schrittes lief Dora zum Fenster der Studierstube, befreite eine etwa handgroße Stelle mit dem Zipfel ihrer Schürze vom Schmutz und richtete den offenstehenden Flügel so aus, dass das einfallende Sonnenlicht die Scheibe in einen Spiegel verwandelte. Ein viel zu blasses, schmales Gesicht schaute ihr entgegen. Mit angefeuchteten Fingerkuppen wischte sie die Spuren des blauen Öls um die Augen weg. Die traurigen Erlebnisse der letzten beiden Jahre hatten die ersten Falten aufspringen lassen. Dennoch schauten das blaue rechte wie das grüne linke Auge klar und zielstrebig, die leicht auseinanderstehenden Augen verliehen ihrem Blick nach wie vor eine ganz besondere Eindringlichkeit. Die kaum merklich nach oben gebogene Nasenspitze sowie der herzförmige Mund über dem spitzen Kinn unterstrichen diesen Eindruck noch. Schon weitaus zufriedener als vorhin schaute sie an ihrer schlanken Gestalt hinunter. Die schlichte schwarze Trauerkleidung aus raschelndem Damast konnte sie guten Gewissens nach zwei Trauerjahren gegen ein dunkelgrünes oder dunkelrotes Gewand aus Samt mit farblich passendem Goller und heller Schürze eintauschen. Gleich nachher, wenn sie mit dem Aufräumen von Urbans Studierstube fertig war, wollte sie sich etwas aus der Truhe im Schlafgemach heraussuchen. Höchste Zeit, dass Johanna ihre Mutter in farbenfroher Tracht kennenlernte. Das würde ihr ein wenig von ihrer jugendlichen Unbeschwertheit zurückgeben.
    Bei dem Gedanken an ihr eineinhalbjähriges Kind mit den munteren blauen Augen, die so klug zu schauen verstanden, sowie dem markanten, eckigen Kinn und der hohen Stirn erfüllte sie eine dankbare Zärtlichkeit. Obwohl ein Mädchen, war sie ein Ebenbild sowohl Urbans wie auch Veits. Es war, als wollte das Schicksal sie so an die Zeit gemahnen, in der das Kind gezeugt worden und sie von der Liebe zu beiden Männern hin- und hergerissen war. Entschlossen eilte sie zum Schreibpult und begann endlich aufzuräumen.
    Nach wenigen Handgriffen hatte sie aus den Papieren zwei Stapel gebildet, dabei die obersten, dick mit Staub bedeckten durch kräftiges Pusten gereinigt. Auf den einen Stoß sortierte sie Aufzeichnungen und Unterlagen, die Urbans Tätigkeit als herzoglicher Kammerrat betrafen, auf den zweiten solche eher persönlicher Natur. Es wunderte sie, überhaupt noch Schriftstücke aus seinem Amt zu finden. Hausvogt Göllner hatte es nach Urbans Tod sehr eilig gehabt, höchstpersönlich festzustellen, ob in der Studierstube noch Unterlagen zu herzoglichen Amtsgeschäften vorhanden waren. Mit Grauen erinnerte sie sich des unerfreulichen Auftritts, den er vor der Beerdigung im Haus am Mühlenberg gehabt hatte. Ohne ihr Einverständnis abzuwarten, hatte er die Studierstube betreten, sämtliche dort liegenden Schriftstücke durchgesehen und ins Schloss bringen lassen. Das war umso unangenehmer gewesen, als seinerzeit dort ihr Vater mit seinen wenigen aus dem abgebrannten Haus im Kneiphof geretteten Habseligkeiten untergebracht gewesen war. Darauf aber hatte Göllner keine Rücksicht genommen. Schwer vorstellbar also, dass er seinerzeit etwas übersehen hatte und sich unter den jetzt noch vorhandenen Schriftstücken etwas Wichtiges befand. Vermutlich handelte es sich um Zweitschriften oder um solche Papiere, die von keinerlei besonderem Interesse waren. Sie beschloss, sich bei späterer Gelegenheit genauer damit zu befassen, und sah sich nach einer Kiste oder Truhe um, in der sie die Unterlagen verwahren konnte.
    Ihr Blick fiel auf die Truhe vor dem Regal an der rückwärtigen Wand, über die sie vorhin fast gestolpert wäre. Sie maß in etwa eine Elle in der Länge sowie einen Fuß in der Breite und mochte auch gut einen Fuß hoch sein. Dora schmunzelte zufrieden. Ihr vom Zeichnen und der Beschäftigung mit Bauwerken geschultes Auge funktionierte noch, trotz der

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