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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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zweijährigen Pause, in der sie von solchen Dingen nichts mehr hatte wissen wollen. Gleich ging sie zu der Truhe. Sie war unverschlossen. Gespannt öffnete sie den Deckel und lugte hinein.
    Als sie sah, was sie enthielt, erinnerte sie sich wieder, wie Hausvogt Göllner ihr nur wenige Tage nach Urbans Tod diese Truhe gebracht hatte. Anders als bei seinem Besuch vor der Beerdigung war er für seine Verhältnisse nahezu zartfühlend aufgetreten. »Das sind die persönlichen Hinterlassenschaften Eures Gemahls aus seiner Amtsstube«, hatte er mit betrübter Miene erklärt. »In dieser Kiste hat er alles aufbewahrt, was ihm persönlich am Herzen lag. Auf Geheiß des Herzogs übergebe ich sie Euch, verbunden mit dem allergrößten Mitgefühl Albrechts und seiner Gemahlin.« Trotz des unterwürfigen Gehabes und des betont mitleidigen Blickes hatte Dora damals gemeint, Göllners Falschheit regelrecht greifen zu können, so deutlich war sie ihr entgegengeschlagen. Noch bei der Erinnerung fröstelte es sie. Gewiss hatte er die Truhe erst gründlich durchforstet, bevor er sie ihr ins Haus brachte. Urban war dem ebenfalls aus Franken stammenden Göllner zeit seines Lebens mit Vorsicht begegnet. Die Gründe dafür kannte sie nicht. Göllners nicht eben vorteilhafte äußere Erscheinung trug gewiss ihren Teil dazu bei, ihm nicht sonderlich über den Weg zu trauen. Die auffälligen Warzen auf der linken Wange sowie die stark umschatteten dunklen Augen und das verschlossen wirkende Gesicht, das von dem kinnlangen kupferfarbenen Haar halb bedeckt wurde, wirkten wenig vertrauensvoll. Was aber dachte sie überhaupt so lange über ihn nach? Wahrscheinlich würde sie ihn niemals wiedersehen. Der Gedanke erleichterte sie. Wohlgemut beugte sie sich tiefer über die Kiste und durchstöberte deren Inhalt.
    Das meiste darin waren eher belanglose Dinge wie das längst eingetrocknete Tintenfass, eine Schale für die Federkiele, eine Dose mit Löschsand sowie eine viereckige Briefablage aus schlichtem Kirschbaumholz. Ebenso fanden sich eine Handvoll Leinenstreifen, mehrere Pinsel verschiedener Stärken und einige Bogen leeren Schreibpapiers. Dora wunderte sich, warum Mathilda das nicht alles längst durchgesehen und in den Regalen verräumt hatte. Sie legte die Papiere vom Schreibpult obenauf und schloss den Deckel.
    Gerade wollte sie sich wieder aufrichten und dem zweiten Stapel Schriftstücke auf dem Pult zuwenden, da hielt sie inne. Etwas stimmte nicht. Sie beugte sich noch einmal zur Kiste hinunter, strich über den glatten Deckel, fuhr die äußeren Kanten vorn und hinten entlang. Die Maße passten nicht zueinander. Das war seltsam. Sie richtete sich auf und trat, den Zeigefinger der rechten Hand nachdenklich über die Lippen gelegt, den rechten Arm angewinkelt auf den vor der Brust verschränkten linken gestützt, einige Schritte von der Kiste weg. Aus der Entfernung schätzte sie noch einmal die Größe der Truhe ab und ging wieder zurück. Von neuem befühlte und begutachtete sie die Kiste von oben, der Seite und von vorn. Plötzlich hatte sie es, die Kiste war von außen weitaus höher als das Innenmaß. Sie besaß einen doppelten Boden!
    Hastig kniete sie nieder, öffnete den Deckel ein zweites Mal und räumte alles heraus, was sich darin befand. Aufmerksam betastete sie den vermeintlichen Boden, neigte das Ohr und klopfte darauf. Wie erwartet, klang es hohl. Sorgfältig fuhr sie mit den Fingerspitzen an den Rändern zu den Seitenwänden entlang. Kein Ritz war zu spüren. Enttäuscht lehnte sie sich zurück, betrachtete die Kiste noch einmal von außen. Das verborgene Fach, das durch den doppelten Boden entstand, mochte etwa vier Zoll hoch sein, genug, um ein Buch oder einige Stapel Papier darin zu verbergen. Wieder stutzte sie.
    Ein ganz bestimmter Oktavband in braunem Schweinsleder kam ihr in den Sinn. Gelegentlich hatte Urban ihr daraus vorgelesen, einmal hatte sie ihn gar ohne sein Wissen in Händen gehalten und hart mit sich gerungen, ob sie darin lesen sollte. Scham überfiel sie. Wie konnte es sein, dass ihr Urbans Aufzeichnungen nach seinem Tod völlig entfallen waren? Über Jahre hatte er nach dem Vorbild einiger Ratssekretäre der Stadt eine Chronik geführt. In den Aufregungen, die mit seinem schrecklichen Unfalltod verbunden waren, hatte sie völlig vergessen, nach dem Oktavband zu suchen. Bald hatte sie gar nicht mehr daran gedacht. Als wäre es gestern gewesen, hatte sie das reichlich abgegriffene Buch auf einmal aber

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