Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Göllners überraschender Rückkehr an den Hof kurz vor seinem Tod wieder aufgegriffen. Sein verändertes Verhalten in den letzten Monaten seines Lebens ließ das vermuten.
Sie musste nach der zweiten Chronik suchen. Ein letztes Mal atmete sie den Duft des blauen Öls ein, spürte die anfängliche Beklemmung einer kühnen Entschlossenheit weichen. Behutsam verschloss sie das Gefäß und barg es einem kostbaren Schatz gleich in ihrem Lederbeutel. Dann nahm sie das Heft, erhob sich aus dem Sessel, legte es zu den Briefen neben der Kiste. Die nächsten Stunden verbrachte sie damit, jedes einzelne Buch im Regal wie auch jedes andere Schriftstück in der Studierstube in die Hand zu nehmen. Ebenso durchforstete sie das Schreibpult sowie sämtliche Winkel und Ecken, überprüfte selbst die Holzdielen, ob sie lose waren, kniete sich vor das Bett, schaute darunter, hob die schwere Matratze hoch und klopfte die Laken ab. Zuletzt verrückte sie das Bett vor der Wand, tastete sogar die Wandteppiche Zoll für Zoll ab. Ihre Mühen blieben vergeblich. Weder fand sich eine Spur von Urbans Chronik noch eine weitere Kiste mit einem doppelten Boden oder ein Versteck unter dem Holzboden.
Als ihre Hände schwarz waren vor Dreck, ihr Trauerkleid vom Staub grau überzogen war und ihr Hals vom Einatmen der trockenen Luft schmerzte, gab sie auf. Sie nahm das dünne Heft wie auch die Briefe. Um den Rest sollte sich Mathilda kümmern, sobald Renata die Studierstube geputzt hatte. Ein letztes Mal wanderte ihr Blick umher. Sie hatte nichts übersehen. Alles, was ihr an Urban wichtig war, würde sie in den Briefen finden. Damit ging sie in ihre Werkstatt, die sich auf dem Flur gegenüber zur Straßenseite des Hauses befand.
3
A ngesichts der stetig wärmer werdenden Tage war Gret froh, sich in die Kellerräume zurückziehen zu können. Sie liebte diesen Ort nicht allein seiner angenehmen Temperatur wegen. Aus ihrer Warte hatte sich der verheerende Brand im Kneiphof vor zwei Jahren als überaus glückliche Fügung erwiesen. Das Anwesen der Seleges war zwar bis auf die Grundmauern zerstört worden, wie durch ein Wunder aber hatte Gret ihren Schwäher davon überzeugen können, im Hof ein eigenes Sudhaus und unter dem stark vergrößerten Wohnhaus einen geräumigen Lagerkeller für das Bier einzurichten. Sie tastete an ihrem Rock herum, befühlte die Ausbeulung, die das Buch der Ordensbrüder unter der Schürze hinterließ. Mehrmals am Tag pries sie Hofbibliothekar Polyphemus, dass er ihr in jenem Frühjahr die kostbare Handschrift über das Bierbrauen im Ordensland überlassen hatte. Damit hatte sie Wenzel endgültig für ihre Pläne einnehmen können, wurden darin doch ähnliche Sudhäuser wie das ihre bereits für die Zeit vor mehr als einhundert Jahren beschrieben. Zufrieden schweifte ihr Blick durch das Kellergewölbe, streifte die zahllosen Eichenfässer, glitt an den grob gemauerten Bruchsteinwänden entlang. Mehrere Fackeln in gusseisernen Halterungen spendeten ein unruhiges, dämmriges Licht. Durch die Ritzen der mit Brettern verschlossenen Luken zur Domgasse wehte ein sanfter Luftzug. Davon tanzten die Flammen munter und warfen sonderbare Schatten auf das Rot der Mauern. Matas tauchte hinter einer Reihe von Fässern auf, das Antlitz angestrengt verkniffen. Lautlos bewegten sich seine Lippen, als er mit den Fingern die Bierfässer zählte. Gret schmunzelte. Den kräftigen, stiernackigen Mann kostete diese Aufgabe größte Anstrengung, während sein zierlicher Kumpan Szymon vergnügt ein polnisches Lied zwitscherte und flink die Reihen abschritt. Gret versuchte sich ebenfalls wieder auf ihre Tätigkeit zu konzentrieren und wie die beiden Brauknechte die Lagerbestände zu prüfen.
Das Winterbier war seit letzter Woche endgültig aufgebraucht. Georgi lag fast einen Monat zurück. Wie sie es aus Nürnberg kannte, hatte sie in diesem Jahr erstmals eine Braupause eingelegt, die von Georgi bis Michaeli dauern sollte. Zuvor hatte sie Matas und Szymon einen Vorrat an Sommerbier brauen lassen, das dank der größeren Menge an Gerste und Hopfen haltbarer war als das leichtere Winterbier. Jetzt mussten die künftigen Lieferungen klug geplant werden, um die mehrmonatige Braupause zu überbrücken. Sie klopfte auf eines der Fässer und flehte den heiligen Florian inständig um Beistand an. Auch ein kurzes Stoßgebet an Augustinus sowie den Bierkönig Gambrinus konnte nicht schaden. Verzückt lauschte sie dem wohlvertrauten Klang des Klopfens auf dem
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