Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
seid Ihr also wirklich mit Wenzel Selege gut bekannt?«
»Wenzel und ich haben als junge Burschen einige Baustellen zusammen besucht und sind im Anschluss daran sogar zwei, drei Jahre miteinander durchs Land gezogen. Leider haben wir danach immer seltener etwas voneinander gehört. Eines seiner letzten Schreiben handelte von der Geburt seiner Tochter, die er nach Dorothea von Montau nennen wollte, wenn er auch längst dem katholischen Glauben abgeschworen hatte. Danach wurde es leider still zwischen uns. Das mag wohl daran liegen, dass der gute Selege lediglich Aufträge in den Königsberger Städten übernahm. Seinen ältesten Sohn wollte er entgegen der langen Tradition in unser beider Familien gar nicht erst zu uns schicken. Die Stöckelin erzählte mir vorhin von ihrem jüngeren Bruder Lienhart. Vielleicht besteht Hoffnung, ihn eines Tages hier in Marienwerder zu haben. Es wäre eine gute Fortsetzung des alten Brauchs.« Er zwinkerte vergnügt.
Mathilda richtete den Blick auf den Fluss, tat, als interessierte sie sich genauer für die Kähne, die weiterhin träge durchs Wasser glitten. »Da müsst Ihr Euch wohl noch einige Jahre gedulden. Lienhart ist gerade erst zwölf. Ob er jemals als Baumeister arbeiten wird, steht in den Sternen. Noch macht er keine Anstalten dazu.«
»Ein Jammer, dass die Stöckelin als Frau geboren wurde! Vorhin in der Domkirche hatte ich das Glück, eine Weile ihren Ausführungen zu lauschen. Sie scheint die Begabung ihres Urahns Laurenz geerbt zu haben. Aus jedem ihrer Worte sprach die größte Begeisterung für das, was die wahre Kunst beim Bauen ausmacht. Aber wie es scheint, hat sie wenig Gelegenheit, davon Gebrauch zu machen. Von Polyphemus habe ich erfahren, mit welch tragischem Unglück der Hausbau ihres Gemahls geendet hat. Seither ist sie kaum willens, sich noch einmal an einen Entwurf zu wagen. Wenn Ihr mich fragt, ein großer Verlust für die Baukunst.«
»Für eine junge Frau schickt es sich wohl kaum, eine Baumeisterin zu sein.«
»Es würden sich Mittel und Wege finden, diese Tätigkeit ihrem Geschlecht angemessen auszuüben. Auch in anderen Handwerken beweisen Frauen immer wieder, dass sie den männlichen Zunftgenossen in nichts nachstehen. Wenn eine Frau über derartige Fähigkeiten verfügt wie Eure Base, ist es eine wahre Sünde, sie an der Ausübung zu hindern. Gerade Wenzel Selege stünde es gut an, sich dafür zu verwenden.«
»Worauf wollt Ihr hinaus?« Interessiert schaute sie ihn wieder an. Etwas an der Art, wie er die letzten Worte gesagt hatte, ließ sie abermals hellhörig werden. Langsam begriff sie die unverhoffte Begegnung als wahren Glücksfall.
»Nun, wie ich bereits gesagt habe«, setzte Jagusch verlegen nach, um sich jäh einen Ruck zu geben und ihr offen ins Gesicht zu blicken, »ich kenne Wenzel seit frühester Jugend und habe einige Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Wer, wenn nicht ich, kann also ermessen, ob er ein geeigneter Baumeister ist oder nicht?«
»Das könnt Ihr gewiss, doch Ihr wolltet etwas zu meiner Base …«
»Genau darum geht es«, ließ er sie zum wiederholten Mal den Satz nicht vollenden. »Eben weil Wenzel leider vergeblich darum ringt, das Werk seiner Ahnen als Baumeister fortzusetzen, sollte er seine Tochter fördern. Das Schicksal mag mitunter wenig auf das Geschlecht achten, wenn es die Lebenswege vorzeichnet. Mir scheint, gerade bei den Seleges hat es in den letzten Jahrzehnten eine andere Wendung genommen, als es üblich ist. Braut Wenzel wenigstens noch sein treffliches Bier?«
»Wie? Das ist doch …«
»Genau das habe ich mir gedacht!« Er schüttelte traurig den Kopf. »Das sieht er wohl inzwischen als reinen Weiberkram an und überlässt es seiner Tochter. Dabei hat er in unseren gemeinsamen Jahren oft die Gelegenheit ergriffen, sich an den Sudkessel zu stellen. Ich verrate Euch kein Geheimnis, wenn ich Euch erzähle, dass er das beste Bier zu brauen verstand, das ich je meine Kehle hinuntergespült habe. Und das behaupte nicht nur ich. Fragt hier in Marienwerder, in Graudenz oder Heiligenbeil. Wo immer wir eine Weile als Kunstdiener gewesen sind, hat Selege früher oder später seine wahren Fähigkeiten am Braukessel bewiesen. Das wäre genau das richtige Geschäft für ihn gewesen. Als Bierbrauer hätte er es zu etwas bringen können.«
»Es fällt mir schwer, mir Wenzel Selege beim Einmaischen …«
»Das hat sein Vater wohl auch so gesehen und ihn deshalb zur Baukunst gezwungen. Was aber nutzt einem das
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