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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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mögliches Wiedersehen mit Veit Singeknecht zu beobachten, so war seit einigen Tagen eine grundlegende Änderung in ihrem Verhalten zu beobachten. Eine fast mütterlich zu nennende Fürsorge für Dora schien Mathilda plötzlich befallen zu haben. Kaum durfte sie mehr einen Schritt allein tun, eine einzige Unterhaltung ohne die Base führen. Von neuem schnaubte Mathilda laut vernehmlich. Dora versuchte durch angestrengtes Starren auf den helleren Spalt zwischen den Fensterläden in den Schlaf zurückzufinden. Andächtig rief sie sich das Antlitz ihres geliebten Kindes vor Augen, versuchte sich auszumalen, welche Worte Johanna in den letzten Tagen zu sprechen gelernt, welche neuen Bewegungen sie sich angeeignet haben mochte. Jedes Mal, wenn sie meinte, die Augen fielen ihr endlich zu, riss eine erneute Bewegung in ihrem Rücken sie aus der frisch gewonnenen Ruhe, setzte von neuem ihre Grübeleien in Gang.
    Die trübe Finsternis der Nacht verwandelte sich allmählich in frühmorgendliche Dämmerung. Dora lauschte dem Kreischen zweier Katzen vor dem Fenster, hörte Taubengurren auf dem Dach sowie ein leises Scharren auf hölzernen Dielenbrettern. Schließlich wurde der Lichtstreif durch den Spalt so hell, dass sie sicher war, ein neuerliches Einschlafen wäre sinnlos. Viel zu bald schon würde das Krähen des Hahns sie wecken. Leise schälte sie sich aus den Laken, schlich auf Zehenspitzen zum Wandhaken und nahm ihre Kleidung herunter. Es gelang ihr, sich in dem schalen Dämmerlicht ordentlich anzuziehen und sogar das widerspenstige dicke Haar sorgsam unter die Haube zu streichen. Den Gürtel mitsamt seinen sacht gegeneinanderklirrenden Utensilien wollte sie erst draußen vor der Tür umlegen. Vorsichtig bückte sie sich nach den Schuhen, nahm sie ebenfalls auf und schlüpfte zur Tür hinaus.
    Auf dem Flur war es dunkler als erwartet. Behende band sie sich den Gürtel um, vermied dabei jedes unnötige Geräusch. Dann zog sie aus dem Lederbeutel neben dem Geldbeutel Renatas Phiole, entkorkte sie und schnupperte an dem Öl. Bald brach die blaue Stunde an, genau die rechte Zeit für die Stärkung mit dem Schafgarbenöl. Ihr ausgefeiltes Gespür für Räume und Abstände geleitete sie trotz der Dunkelheit unbeschadet zur Treppe und von dort in den Gastraum hinunter. Zu ihrer Freude loderte unter dem Kupferkessel bereits das Herdfeuer. Geschäftig war eine Magd dabei, Brot, Käse und Schinken zu richten und zusammen mit einer Kanne Bier an einen der Tische zu tragen. Verwundert entdeckte sie Polyphemus vor dem Fenster, ein Talglicht sowie ein aufgeschlagenes Buch vor sich auf dem Tisch. Innerlich frohlockte sie. Ein Gespräch mit dem gewitzten Bibliothekar würde sie von allen quälenden Gedanken der Nacht ablenken.
    »Gott zum Gruße, mein Lieber«, sprach sie ihn an. »Ihr sitzt hoffentlich erst seit kurzem hier. Oder habt Ihr die ganze Nacht über Eurem Buch gewacht?«
    Entgegen ihrer Befürchtung schreckte der Bibliothekar nicht auf, sondern hob langsam das Antlitz. Das graue, kurzgeschorene Haar auf seinem Haupt stand einer kratzigen Bürste gleich in die Luft. Auf dem breiten Antlitz, das nahtlos in den kurzen, nicht minder breiten Nacken überging, lag ein erfreutes Lachen, kaum dass er sie gewahr wurde. Die grauen Augen funkelten freudig, die bartlosen Wangen waren vor Eifer gerötet, an den Schläfen perlten kleine Schweißtropfen. Wie stets verströmte er einen aufdringlichen Geruch nach Veilchen, saurem Atem und ungelüfteter Kleidung, auch ein Hauch Moder mischte sich darunter.
    »Was treibt Euch um diese frühe Stunde aus den Federn?« Flink schob er das Licht beiseite, um der Magd Platz für die verschiedenen Köstlichkeiten zu machen. Dabei ließ er das Buch, das er eben noch auf dem Tisch liegen hatte, wie beiläufig in die Tasche seines fadenscheinigen Rocks gleiten.
    »Worin habt Ihr gelesen?«, erkundigte sich Dora neugierig. »Die Heilige Schrift wird es nicht gewesen sein, sonst müsstet Ihr es nicht so verschämt verschwinden lassen.«
    »Es war nichts Verbotenes. Gewährt mir etwas Aufschub, dann überlasse ich Euch das Buch gern. Zuvor aber muss ich einer sehr irdischen Leidenschaft frönen und von dem köstlichen Schinken kosten. Selbst das Bier ist hier leidlich bekömmlich. Macht mir die Freude und leistet mir Gesellschaft. Es ist genug für uns beide da.«
    Einladend wies er auf die Schüsseln, die die Magd vor ihm hingestellt hatte. Mit der tintenverschmierten Rechten wischte er den Schweiß von

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