Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
sich ein Weg finden, die ungewöhnlichen Pläne in die Tat umzusetzen. Nicht von ungefähr wird Gott einem seine Gnade auf diese Weise geschenkt haben.«
Einige Atemzüge lang standen sie schweigend voreinander. Wie schon vorhin im Gasthaus bei der Magd, so meinte Mathilda auch jetzt wieder in den Augen ihres Gegenübers mehr als nur das Schwarz der Pupille zu erkennen. Es war ein offenes Fenster für das, was noch kommen mochte. Der Grat zwischen Glück und Leid war schmal. Umso wichtiger war es, denjenigen helfend die Hand zu reichen, die nicht wussten, welchen Weg sie einschlagen sollten, um das Richtige zu tun. Mathilda fühlte eine bislang unbekannte Wärme in ihrem Inneren aufsteigen. Zugleich erfasste sie Unruhe. Kaum konnte sie es mehr erwarten, die Reise nach Krakau an Doras Seite hinter sich zu haben und zu Wenzel Selege in den Königsberger Kneiphof zurückzukehren.
»Ich danke Euch, lieber Jagusch. Ihr habt mir sehr geholfen.« Flugs drehte sie sich um und eilte durch die schmale Pforte zurück ins Gasthaus, wo sie ihre Reisegefährten bereit zum Aufbruch zu finden hoffte.
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W ie an den anderen Stationen zuvor machte es sich für Dora und Mathilda auch in Thorn wieder bezahlt, die einzigen Frauen in der Reisegruppe zu sein. Ganz selbstverständlich überließen die Herren ihnen das behaglichste Nachtlager. Im Gasthaus zur Neuen Krame direkt am Altstädter Markt handelte es sich um das frühere Schlafgemach der Wirtsleute, das der Wirt nach dem Tod seiner Frau nicht mehr selbst benutzte, sondern ausgesuchten Gästen anbot. Es verfügte über ein ausreichend breites Himmelbett mit einer ordentlichen Matratze und einer prall mit Gänsefedern gefüllten Decke. In der blütenweißen Leinenwäsche hing der betörende Duft einer Frühlingswiese. Dora meinte im Halbschlaf beim Luftholen darauf achten zu müssen, keine Biene einzuatmen, so greifbar nah schienen ihr die bunten Blüten. Welches Vergnügen hätte Johanna an der Geschichte! Mit einem seligen Lächeln auf den Lippen malte sie sich aus, wie sie mit der Kleinen eine Kissenschlacht in dem blumig duftenden Bettzeug veranstalten und dabei das zufriedene Gebrumm dicker Hummeln nachahmen würde.
Leider währte der paradiesische Zustand des von fröhlichen Träumen begleiteten Schlafs nicht lang. Gerade als ihr nach Wochen der Entbehrung endlich auch wieder Veits Traumbild vor Augen stand und sie meinte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um ihn zu erreichen, schnaufte Mathilda derart laut, dass sie aufs unsanfteste von ihm weggerissen wurde. Erschrocken schlug sie die Augen auf, starrte gegen den von Astlöchern und Maserungen überzogenen hölzernen Betthimmel. Sie brauchte eine Weile, bis sie begriff, wo sie sich befand. Abermals ohrenbetäubend laut schnaubend drehte sich die Base zur Seite. Von der energischen Bewegung bebte das Bett. Dora begann zu zittern, bis sie gewahrte, dass Mathilda ihr einen Großteil der Decke fortgezogen hatte. Vorsichtig versuchte sie einen Zipfel zurückzuerobern. Dafür erntete sie ein neuerliches Schnauben Mathildas und das endgültige Fortreißen der Decke. Fröstelnd igelte Dora sich auf der Seite ein und starrte ins Dunkel.
Sie lag zur Fensterseite des quadratischen Raums. Ihre Augen gewöhnten sich an die Finsternis, die sich alsbald in die unterschiedlichsten Schwarz- und Grautöne auflöste. Die Fensterläden schlossen nicht plan. Ein kleiner Spalt in der Mitte ließ dämmrige Nacht, begleitet von einem zarten Lufthauch, ins Schlafgemach. Allmählich gewannen die Gegenstände ringsum Kontur. Zunächst waren es die Umrisse der Truhe unter dem Fenster sowie der Schemel daneben, den Dora klar unterschied. Langsam blickte sie nach oben, erspähte das erloschene Talglicht auf dem schmalen Tisch neben der Tür, schaute zur gegenüberliegenden Wand, an der sich ein hölzernes Kreuz ohne Christusfigur von der hell getünchten Wand abhob. Gleich daneben befanden sich die Wandhaken mit den Kleidern. Mathildas schwarzer, aus feinem Schamlot gewebter Rock wie auch ihr Goller aus demselben Stoff, der mit einem gleichfarbigen Samtkragen verfeinert war, überdeckten Doras Gewänder aus Grobgrün, deren dunkelrote Farbe vom düsteren Licht des Schlafgemachs völlig verschluckt wurde. Je länger Dora die Gewänder betrachtete, je klarer wurde ihr: Die Base hielt sie umfangen wie deren Kleider die ihren. Hatte zu Beginn ihrer Reise eine gewisse Kühle zwischen ihnen geherrscht, weil Mathilda einzig darauf aus war, in Krakau ihr
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