Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
weiter wie zuvor.
    Händler wie Bürger waren derart vertieft in ihr Tun, dass sie dem einsetzenden Regen kaum Beachtung schenkten. Der Niederschlag nahm nicht zu, dafür deutete sein gleichmäßiges Prasseln auf eine vermutlich längere Dauer. Wie ein hauchdünner Schleier umhüllte er die Stadt. Dora zog den Umhang über dem Goller enger um die Brust, senkte das Antlitz und wandte sich nach rechts, der Fortsetzung des von Norden in der Floriansgasse nach Süden über die Grodzka- in die Kanonikergasse verlaufenden Königswegs zu. Der Regen war nicht sonderlich kalt, dennoch brachten sie das Feuchte sowie der gelegentlich aufflauende Wind zum Frösteln. Die Finger, mit denen sie das Tuch vor der Brust zusammenhielt, wurden ihr klamm. Sie sah auf, um abzuschätzen, wie weit sie noch laufen musste. Gleich wurden ihr die Wangen feucht vor Regen.
    Die Straße machte einen großzügigen Bogen, für einige Zeit ging es leicht bergab, dann wieder gemächlich aufwärts. Bald verloren sich die um den inneren Stadtkern streng gitterartig angelegten Straßen in einem willkürlichen Verlauf. Die Gassen rechts und links des Wegs wurden enger. Statt des gepflegten Pflasters verfügten sie oft nur über festgestampften Lehmboden. Einzig die Grodzka behielt ihren strikten Weg zum Wawel am südlichen Ende der Stadt bei, ebenso war sie weiterhin breit gepflastert. Später aber büßten auch an ihrer Seite die Hausfassaden an Pracht ein. Die Gebäude wurden niedriger und schmaler, stammten oft noch aus weitaus älteren Zeiten als die Bauwerke rund um den Markt. Dora erinnerte sich der Unterhaltung am Vorabend, als Steinhaus und der Wirt ihres Gasthauses über jenen ältesten Teil Krakaus sprachen, in dem sie nun unterwegs war. Okół hieß das Viertel und galt trotz seines bescheidenen Aussehens als etwas ganz Besonderes, schmiegte es sich doch gleich zu Füßen des Burgberges, auf dem sich neben dem Sitz des Königs auch die Krakauer Kathedrale befand. Seit frühester Zeit war dieser Fleck im Schatten des polnisch-litauischen Herrschersitzes schon besiedelt.
    Als die St.-Andreas-Kirche mit ihren beiden Türmen in Sicht rückte, bog Dora nach rechts ab, wie es ihr Steinhaus am Morgen erklärt hatte. Nach einem kleinen Platz, auf dem zwei Bauersfrauen aus ihren Körben Kräuter und Käse feilboten und eine Garküche zwielichtiges Gesindel um ein wärmendes Feuer versammelte, wandte sie sich wieder nach links. Die Kanonikergasse verlief nahezu parallel zum Königsweg und wirkte wie ausgestorben. Eine Frau fegte vor einem der Häuser, ein Mann in einem dunklen Talar huschte mit gesenktem Haupt vorbei. Ihm folgten in gebührendem Abstand eine Handvoll Studenten, die sich Mühe gaben, würdevoll aufzutreten. Dora schaute die Fassaden entlang.
    Die Gebäude der mächtigen Kirchenleute strahlten wieder den Glanz der Anwesen aus, die den Großen Marktplatz säumten und mehr dem Sitz von mächtigen Adligen entsprachen als dem von Bürgern. Anders als Dora es aus den preußischen Städten kannte, war das Mauerwerk ockergelb getüncht. Nirgendwo war noch eine Spur von Ziegeln zu erkennen. Weit hervorragende Wimperge mit Fialen oder ähnlichem Zierat gab es nicht, ebenso schlossen die Giebel auf einer geraden Linie und nicht in Stufen. Dennoch beeindruckte allein die Breite der Gebäude wie auch ihre Höhe. Die Eingangsportale waren reichhaltig geschmückt und oftmals über das ebenerdige Geschoss hinaus erhöht, was ihnen eine zusätzliche Bedeutung verlieh. Am Ende der Gasse ragte der Wawel auf. Dora blieb stehen, sah trotz des Regens aufrechten Blicks nach vorn.
    Über mächtigen Bäumen schälte sich die Burganlage heraus. Gewaltig thronte das Königsschloss mitten auf dem Berg, der zwar nicht hoch, seiner besonderen Lage am Südende der Stadt zum Weichselufer hin wegen jedoch sehr majestätisch wirkte. Der Ort war klug gewählt von den polnischen Herrschern. Selbst der wenig einheitliche Bau der Festung, die von jedem neuen Herrscher aus dem Haus der Jagiellonen mit An- und Umbauten im Geschmack seiner Zeit beliebig erweitert worden war, die scheinbar willkürlich in den Himmel emporragenden großen und kleinen Türme, Häuser, Mauern und Tore konnten die Erhabenheit der Anlage nicht schmälern.
    Zum zweiten Mal an diesem Morgen fühlte Dora sich in ihren Grundfesten erschüttert. Dachte sie an die besonnene Gestaltung der riesigen Ordensfestungen Marienburg, Tapiau, Labiau, Ragnit oder auch die noch deutlich erkennbaren Reste von Dom und

Weitere Kostenlose Bücher