Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Bischofsburg in Marienwerder, so schien deren trutziges Mauerwerk wie aus einem Guss entstanden. Selbst spätere Erweiterungen waren immer dem Stil der Vorbauten gefolgt. Davon schrieb Ahn Laurenz in seinem Werkmeisterbuch zur Genüge. Auch das Königsberger Schloss, das unter Herzog Albrecht rege umgestaltet und angebaut wurde, blieb im Großen und Ganzen seinem äußeren Erscheinungsbild treu. Der Wawel dagegen zeigte seine vielgestaltige Geschichte schon von weitem, und das offenbar mit großem Stolz. Ob das, ähnlich wie die Kunst von Veit Stoß in der Marienkirche, ebenso ein Ausdruck von besonderer Leidenschaft war? Wagten die Menschen, Herrscher wie Künstler und Kirchenleute, jenseits des ehemaligen Ordenslandes, einfach mehr von sich und ihrem Wesen nach außen in Gestalt eines willkürlich gewachsenen statt stets beherrschten Stils zu zeigen?
13
D er Regen wurde stärker. Die Menschen in der Gasse beschleunigten ihre Schritte, drängten Dora in dem Strom weiter vorwärts. Kaum blieb ihr Gelegenheit, sich weiter umzusehen. Das Ende der Kanonikergasse war bald erreicht. Auf der Suche nach Veits Unterkunft wanderte ihr Blick die Hausfassaden entlang. Undenkbar eigentlich, dass er im Haus eines katholischen Kirchenmannes untergekommen war. Das passte nicht zu ihm als überzeugtem Lutheraner. Ob sie Veit in dieser Stadt tatsächlich wiederfand? Ratlos drehte sie sich einmal um die eigene Achse. Vielleicht hatte sie sich doch in der Straße geirrt. Andererseits kannte sie die Zeilen aus seinem Brief auswendig, in denen er seine bescheidene Unterkunft beschrieb. Eine solche aber schien ihr im Umfeld der Häuser, die sie vor sich sah, gänzlich fehl am Platze. In einem überwölbten Toreingang suchte sie Schutz vor dem Regen. Gerade wollte sie Veits Schreiben aus dem Felleisen ziehen, da wurde sie eines kleinen Durchgangs gewahr. Er entpuppte sich als kaum schulterbreite Gasse, die auf einen gepflasterten Hof führte. Neugierig ging sie dorthin.
Der Hof war umrahmt von drei einstöckigen Gebäuden, die im Vergleich zu den ansehnlichen Klerikeranwesen in der vorderen Straße sehr bescheiden wirkten. Dora maß die Häuser mit den Augen. Eine ungewohnte Stille umfing sie. Weder das Gegacker von Federvieh noch das Gurren von Tauben oder das Miauen von Katzen war zu hören. Die Fenster waren allesamt verschlossen, an manchen Häusern gar mit Holzläden und schweren Eisenriegeln verrammelt. Neben den Türen fand sich keinerlei Hinweis auf die Zunft der Bewohner. In welch seltsame Gegend war sie da nur geraten? Gerade als sie kehrtmachen und den Hof durch die enge Gasse wieder verlassen wollte, öffnete sich eine der Türen, und eine junge Frau trat heraus. Auf dem Kopf trug sie eine eher graue denn weiße Haube, ebenso wirkte ihr Kleid nicht sonderlich sauber. Dafür aber besaß sie ein sehr hübsches Gesicht.
»Dzień dobry«, grüßte die Frau.
Dora grüßte höflich zurück. Dank Brauknecht Szymon sprach sie einige wenige Brocken Polnisch und konnte also hinzufügen: »Czy pani mówi po niemiecku?«
»Wer seid Ihr, und was sucht Ihr?«, fragte die junge Frau sofort in bestem Deutsch. Das Lächeln auf ihrem Gesicht wirkte offen und ehrlich.
»Ich bin Dora Stöckel aus Königsberg und suche den Baumeister Veit Singeknecht aus Nürnberg. Für einige Zeit soll er hier untergekommen sein. Das zumindest hat er vor einigen Wochen meinem Bruder geschrieben.« Dora trat zwei Schritte auf die Fremde zu. Bei Erwähnung von Veits Namen erlosch das Lächeln der Frau. Täuschte sie sich, oder machte sich nicht gar auf einmal Verachtung auf ihrem Antlitz breit? Vorsichtig schob sie nach: »Könnt Ihr mir sagen, wo genau ich ihn hier finde?«
»Ihr kommt zu spät.« Abwehrend verschränkte die Fremde die Arme vor der Brust. Ihre Stimme hatte alles Freundliche verloren. »Singeknecht ist fortgezogen, als sein Vater eintraf. Dem Alten passte die Unterkunft nicht. Jetzt findet Ihr sie in Kazimierz. Bei den jüdischen Spitzhüten fühlen sie sich wohler als bei uns.«
Bevor Dora nachfragen konnte, machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand wieder im Haus. Krachend fiel die Tür ins Schloss.
Unschlüssig verharrte Dora noch eine Weile auf dem Hof. Der Regen prasselte weiter unablässig auf sie nieder. Längst lag der nasse Umhang schwer auf ihren Schultern. Die Bänder der Haube klebten an Schläfen und Nacken fest, das Leder der Schuhe hatte sich vollgesogen. Plötzlich war sie sehr müde. Es machte vorerst keinen Sinn,
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