Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Bau eines neuen Hauses für ihren Gemahl beaufsichtigt. Es kam dort zu einem schrecklichen Unglück, bei dem Urban Stöckel den Tod fand. Steinmetzmeister Miehlke sagt, Singeknecht habe bei der Anlage einer Stützmauer das Fundament nicht ordentlich berechnet, im Nachhinein die Vorgaben der Stöckelin verändert. Deshalb stürzte die Mauer ein und begrub Urban Stöckel unter sich. Singeknechts Flucht nach dem entsetzlichen Vorfall spricht wohl für sich, was die Schuldfrage anbetrifft.«
»Unglaublich!« – »Wie entsetzlich!« – »Mein Mitgefühl, liebe Stöckelin.« Die Männer zeigten sich allesamt zutiefst betroffen von Steinhaus’ Bericht. Bonter wagte es gar, Dora die Hand auf den Arm zu legen und mit seinen blaugrünen Augen ihren Blick zu suchen. »Wir sollten dafür sorgen, dass Veit Singeknecht schnellstmöglich zur Rechenschaft gezogen wird.«
»Nach zwei Jahren ist es höchste Zeit«, pflichtete Fedor Spiski bei. Auch Bonter nickte zustimmend, lediglich die Reaktion des rothaarigen Baranami konnte sie nicht sehen.
»Oh, ich weiß nicht so recht. Das alles ist sehr schwierig zu erklären, der Einsturz der Mauer lässt sich nicht so einfach beurteilen«, stammelte sie. Es überraschte sie, wie schnell die Kaufleute zum Äußersten entschlossen waren. Wenn sie nicht aufpasste, geriet Veit ihretwegen auch in Krakau in höchste Bedrängnis. Dabei hatte sie mit ihrem Besuch in der polnischen Königsstadt genau das Gegenteil bezweckt und ihn endlich von dem furchtbaren Verdacht befreien wollen, schuld an Urbans Tod zu sein. Sie musste Zeit gewinnen, um Götz Steinhaus’ Freunde aufzuhalten, durfte dabei allerdings nicht den Verdacht erwecken, den Tod ihres Gemahls ungesühnt lassen zu wollen. Von neuem suchte sie Halt an dem Beutel mit dem Schafgarbenöl. Die blaue Flüssigkeit würde ihr die Kraft schenken, rasch einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden. Ihr Blick wanderte über die Versammlung der Kaufleute.
An der Stirnseite der Tafel rieb sich Götz Steinhaus nachdenklich den grauen Spitzbart, dabei blitzte das Gold des Siegelrings an seiner rechten Hand im Dämmerlicht auf. Ebenso wirkten der links von ihm und damit ihr direkt gegenübersitzende Stanisław Podski wie auch Fedor Spiski gleich neben ihm ganz in Grübeleien versunken. Feliks Baranami auf ihrer Tischseite konnte sie nicht sehen, Piotr Bonter zu ihrer Rechten verdeckte ihn. Das Schweigen der vier Krakauer Kaufleute war allerdings beredt genug, ihre Betroffenheit zu beweisen. Dora überlegte angestrengt, wie sie sich weiter am geschicktesten verhalten sollte, als sich von unerwarteter Seite Hilfe anbot.
»Um einen solch schwerwiegenden Vorwurf gegen jemanden laut zu erheben, solltet Ihr über sehr, sehr gute Beweise verfügen«, schaltete sich Fedor Spiski ein und zupfte an seinem spitzen Kinnbart herum. Das tat er so lange, bis alle den Blick auf ihn richteten und gebannt seine weitere Ausführung erwarteten. Zufrieden über die gewonnene Aufmerksamkeit, fuhr er fort: »In meinen Augen reicht es einfach nicht, dass der am Bau beteiligte Steinmetzmeister ihn beschuldigt. Was soll das auch heißen, er habe sich verrechnet, die Vorgaben der Stöckelin eigenmächtig verändert? Gerade hat auch die Stöckelin durch ihr Zögern angedeutet, wie schwierig ein solcher Nachweis ist. Bedenkt bitte, Singeknechts Vater ist ein bekannter Rechtsgelehrter. Er weiß sich oder vielmehr seinen Sohn gewiss bestens gegen jeden Vorwurf zu verteidigen. Noch dazu hat er in Nürnberg vor zwei Jahrzehnten den Reformatoren beratend zur Seite gestanden. Aus dieser Zeit rührt seine freundschaftliche Beziehung zum preußischen Herzog. Und der ist, wie wir alle wissen, einer der Lieblingsneffen unseres verehrten Königs. Der Alte wird also nicht nur alles tun, um seinem Sohn helfend zur Seite zu stehen, er wird auch die geeigneten Mittel kennen, wie das wirkungsvoll vonstattengehen kann, und seine Beziehungen zum Hof nutzen. Zufällig weilt er übrigens gerade auch persönlich in unserer Stadt. Am besten wäre es wohl, zuerst mit ihm zu reden, bevor wir den Sohn möglicherweise zu Unrecht anklagen.«
Mit bedeutungsschwangerem Seufzen hielt er inne, faltete die sorgfältig gepflegten Hände vor sich auf dem Tisch. Die Augen halb geschlossen, den Mund gespitzt, schien er angestrengt über seine nächsten Sätze nachzudenken.
Dora suchte nach geeigneten Worten, den angebotenen Beistand höflich abzulehnen. Mit dem alten Singeknecht wollte sie ebenfalls reden,
Weitere Kostenlose Bücher