Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
zu bleiben. Dann hastete sie, so schnell es ihr unförmiger Leib erlaubte, durch den kühlen Flur die Treppe hinunter und aus dem Haus ihrer Schwägerin auf die Straße.
Zweiter Teil
(3)
Königsberg und Krakau
Frühjahr/Sommer 1546
15
A n diesem Tag war Gret über den kurzen Weg zwischen Doras Haus und der Schlossbrücke froh. Es nieselte. Der Juliregen erwies sich als ungewöhnlich kalt, was auch an dem rauhen Ostwind liegen mochte. Für die Hopfenernte verhieß das wohl nur wenig Gutes, doch jetzt war nicht die Zeit, sich darüber zu sorgen. Bis Michaeli war es noch eine ganze Weile hin. Zum Brauen des Winterbieres würde sie ausreichend guten Hopfen auftreiben. Das Einzige, was jetzt zählte, war, Dora bis dahin wohlbehalten wieder in der Stadt zu haben, bevor Göllner ihr heimtückisch Schwierigkeiten bereitete.
Sie rannte an den Wachen auf der Brücke vorbei. Dank ihrer regelmäßigen Besuche bei der Herzogin kannte man sie inzwischen. Ebenso rasch zwängte sie sich durch das Gedränge im Innenhof, um sogleich nach links auf die privaten Gemächer des Herzogpaares im Ostflügel zuzusteuern. Über die reichlich ausgetretenen Steinstufen der großen Treppe gelangte sie ins zweite Obergeschoss und von dort durch die unscheinbare kleine Tür in den Flur zum Nähzimmer der Herzogin.
»Die Selegin!«, rief der Zwerg erfreut, als sie den langgestreckten Saal betrat. Seine glockenhelle Stimme hallte von den weißen Mauern wider. Wie es seine Art war, vollführte er in Windeseile quer durch den Raum eine ganze Reihe tollkühner Purzelbäume, turnte ausgelassen auf dem leeren Tisch in der Mitte, bevor er sich mit einer Handvoll Überschläge in die Nische eines Fensters auf der gegenüberliegenden Wand zurückzog. Die kurzen Beine in den buntgestreiften Strumpfhosen bis zum Kinn hochgezogen, die Zipfel der nicht weniger bunten Narrenkappe über die Augen geklappt, igelte er sich auf der Holzbank vor dem Fenster ein.
»Nanu? Ist niemand der Nähfräulein da?«, fragte Gret und schaute sich überrascht um. »Wo steckt die König?«
»Wollt Ihr nicht lieber wissen, wo die Herzogin ist?«, erwiderte der Zwerg frech. »Immerhin hat sie nach wie vor das Sagen im Schloss. Oder hat die König das Zepter übernommen? Leider war ich einige Wochen nicht da. Klärt mich auf, was ich verpasst habe.«
»Morpheus!«, schallte die Stimme der Herzogin von der Stirnseite mahnend durch den Saal. Lautlos, wie es ihre Art war, musste sie schon vor einigen Augenblicken eingetreten sein. »Sei bitte höflicher zu unserer lieben Freundin. Mit deinen Narreteien erschreckst du sie. Verschwinde jetzt, ich will allein mit der Selegin reden.«
Wie eine lästige Katze scheuchte sie den Zwerg aus dem Saal. Erst als sie die Tür hinter ihm schloss, bemerkte Gret, dass hinter der gertenschlanken Herzogin auch die kugelrunde Katharina König ins Nähzimmer gekommen war. Bang schaute sie der Frau des Bibliothekars entgegen. Auf ihrem Gesicht lag ein rätselhafter Ausdruck.
»Setzt Euch«, wies Herzogin Dorothea sie liebenswürdig an. Inzwischen hatte sie wie gewohnt auf einem schlichten Holzstuhl am Kopfende des langen Tisches Platz genommen und faltete die langen weißen Hände vor sich auf der Tischplatte. »Wie schön, dass wir uns so bald nach meiner Ankunft alle wohlbehalten wieder zusammenfinden. Ihr seid wieder guter Hoffnung? Das freut mich sehr für Euch. Wann werdet Ihr niederkommen?«
Gret errötete, stammelte verlegen »Ende des Jahres« und setzte sich umständlich auf den Stuhl rechter Hand der Herzogin. Die König verharrte wie ein vorwurfsvoller Schatten hinter Dorothea, warf ihr immerzu mahnende Blicke zu, deren Sinn ihr verschlossen blieb.
»Halten wir uns nicht lange mit leerem Gerede auf«, erklärte Dorothea in dem freundlichen Ton, der ihr eigen war. »Wir wissen nur zu gut, warum wir drei hier eigentlich beisammensitzen. Ich habe es eben schon meiner lieben König erzählt.« Die Herzogin winkte ihre Vertraute an die andere Seite des Tisches und bedeutete ihr, sich ebenfalls zu setzen. »Hausvogt Göllner ist vor ein paar Tagen in Fischhausen aufgetaucht. Meine liebe König hat mir eben berichtet, welch dreisten Auftritt er sich vor knapp drei Wochen im Haus Eurer Schwägerin erlaubt hat. Nun ist er also auch vor meinem Gemahl erschienen. Zwar hat mich mein lieber Albrecht zu meinem Bedauern nicht an der Unterredung teilhaben lassen, doch hat es den Anschein, es wäre um etwas sehr Ernstes gegangen. Selbst im Nebenraum
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