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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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seine Wut über die nicht gefundenen Papiere und Doras heimliche Reise nach Krakau an dem Kind auslassen. Gret spürte einen Kloß im Hals. Dora hatte ihr die Aufsicht über Johanna anvertraut. Nie würde sie ihr verzeihen, wenn der Kleinen etwas geschah. Auf zittrigen Beinen ging sie zur Treppe und stieg sie langsam nach oben, bei jedem Schritt über den schweren Leib fluchend, den ihr die neue Schwangerschaft so früh schon aufzwang. Wie wollte sie überhaupt etwas gegen Göllner ausrichten und Johanna gegen ihn verteidigen?
    Als sie das Obergeschoss erreichte, verharrte sie eine Weile am obersten Treppenabsatz und blinzelte in den verlassenen Flur. Die Frauenstimmen im Wohngemach schwollen wieder an. Weit stand die Tür offen. Wären die Stimmen nicht so schrill, hätte man gewiss das ein oder andere verstehen können, so jedoch war allein die riesige Aufregung herauszuhören. Zumindest aber mischte sich keine Männerstimme darunter. Das beruhigte Gret ein wenig.
    Langsam ging sie weiter, schnupperte in die Luft, stutzte, blieb an der Tür zur Küche wie angewurzelt stehen. Es roch nach gar nichts, dabei ging es auf Mittag zu. In jedem Haushalt höchste Zeit, den Kessel über dem Feuer einen Zahn tiefer zu hängen. Ungläubig schaute sie in die Küche. Da kochte tatsächlich nichts. Das Herdfeuer war völlig ausgebrannt. Am helllichten Tag kein sonderlich gutes Zeichen. In dem kleinen, fensterlosen Raum war es noch düsterer als sonst. Lediglich vom Flur her fiel spärliches Licht herein. Der Suppenkessel hing zwar wie gewohnt an der Kette über der Kochstelle, doch war die Glut unter dem Dreizack ganz erloschen. Prüfend hielt Gret die flache Hand darüber. Die Wärme war längst verflogen. Seit Stunden musste das Feuer aus sein. Kopfschüttelnd sah sie sich um. Auf dem Tisch lagen ein angeschnittener Laib Brot sowie ein hartes Stück Käse, daneben stand die Schale mit dem Brei für Johanna. Gret sparte sich, nach seiner Temperatur zu fühlen. An der bräunlichen, festen Haut, von der er überzogen war, erkannte sie, dass auch er schon vor längerem erkaltet war.
    Die Stimmen in der schräg gegenüberliegenden Wohnstube wurden abermals lauter. Gret horchte angestrengt. Deutlich unterschied sie die helle der sechzehnjährigen Elßlin und die tiefere der gut doppelt so alten Renata. Was sie erstaunte, war, dass Elßlins Stimme sich weitaus bestimmter anhörte als die Renatas. Kaum wollte sie das genauer belauschen, kreischte Johanna auf. Das Kind! Sofort eilte sie quer über den Flur.
    Auf den ersten Blick entdeckte sie niemanden in der vornehmen Stube. Der lange Esstisch glänzte frisch poliert, die Stühle standen ordentlich aufgereiht davor. Die gut geputzten Scheiben in den Bleiglasfenstern verwandelten selbst das trübe Regenlicht in eine helle Pracht, die dem Raum eine ganz besondere Würde verlieh. Über allem hing der Duft getrockneter Veilchen, die büschelweise kopfüber in den Ecken hingen.
    »Hör mit dem Jammern auf«, ertönte Elßlins sonst so zarte Mädchenstimme ungewöhnlich scharf von rechts. Gret fuhr herum. »Nur weil die Katze weg ist, gibt es keinen Grund, ein derartiges Geschrei anzustimmen.«
    Ein eigenartiges Wehklagen antwortete ihr vom Boden her, bis ein herzzerreißendes Kindergebrüll es übertönte. Elßlin beugte sich in die Ecke hinunter, richtete sich kurz darauf mit Johanna auf dem Arm wieder auf. Das Mädchen hatte ein vom Weinen ganz verzerrtes, puterrot angelaufenes Gesicht. Seine Wangen klebten von Tränen, die winzigen Fäuste wischten darüber und sorgten für eine dunkle Schmutzspur. Die kleinen grünbraunen Augen weit aufgerissen, bebte das Kind am ganzen Leib. Zärtlich drückte die junge Magd seinen Kopf mit dem bernsteingoldenen Haar gegen ihre Schulter, raunte ihm etwas Beruhigendes ins Ohr und schaukelte es sacht hin und her. Darüber verebbte das Gebrüll, das Kind steckte den Daumen in den Mund, lehnte schließlich den Kopf gegen Elßlins Brust und schlief überraschend schnell ein.
    »Jetzt steh endlich auf!«, zischte die junge Magd Richtung Boden. »Für heute hast du genug angerichtet. Und das alles nur wegen einer verschwundenen Katze! In der Küche wartet viel Arbeit auf dich. Oder denkst du, ich mach das alles allein? Wenn die König zurückkommt, muss die Suppe auf dem Tisch stehen.«
    War das tatsächlich die sonst so verzagte, halbwüchsige Elßlin? Gret wollte laut auflachen. Eben noch war sie zutiefst überzeugt gewesen, in der Wohnstube dem

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