Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Nasenspitze entglitt jegliche Wohlgestalt. Auf einmal erschienen sie nur noch wie hässliche Elemente eines viel zu schmalen Gesichts. Dorotheas dunkle Augen blickten ins Leere. Kaum aber hatte sie zwei-, dreimal tief Luft geholt, kehrte die Farbe auf ihre Wangen zurück, und auch der Rest ihres Antlitzes verwandelte sich wieder ins Liebreizende. Um ihre schmalen Lippen erwachte sogar ein geheimnisvolles Lächeln, als sie sich Gret wieder ganz zuwandte.
»Was hat Euer Gemahl auf Anraten Göllners getan?«, wagte Gret nachzuhaken. Fahrig knetete sie ihre Finger. Sie fühlten sich eiskalt an. »Hat er schon einen Boten nach Krakau geschickt, der meine Schwägerin bei ihrer Ankunft erwartet? Besteht ernsthafte Gefahr? Bitte seid ehrlich!«
»Es wird ihr schon nichts Schlimmes geschehen«, wiegelte die Herzogin ab. »Schließlich ist doch nichts dabei, dass sie Papiere ihres geliebten Gemahls nach dessen Tod für sich behalten will.«
»Es tut mir so leid«, murmelte die gutmütige, runde König und wagte kaum, Gret anzusehen. »Ihr wisst, dass ich nie gewollt habe, dass Göllner von mir erfährt, dass …«
»Schon gut.« Zu ihrer eigenen Verwunderung fühlte Gret auf einmal eine seltsame Zuversicht. Wenn der Herzog eine Nachricht nach Krakau schicken und seine Leute vor Ort um Hilfe bitten konnte, dann konnte sie das auch. Entschlossen erhob sie sich von ihrem Platz. »Es gibt noch einen Weg, wie ich meiner Schwägerin beistehen kann. Bitte entschuldigt mich, die Zeit drängt.«
»Ich wusste es!« Der Herzogin stand die Begeisterung ins Gesicht geschrieben. »Ihr seid eine ganz außergewöhnliche Frau und wisst Euch immer einen Rat. Die Stöckelin wird sich glücklich schätzen, auf Eure Unterstützung rechnen zu dürfen.«
»Ich danke Euch«, erwiderte Gret, drückte die Hand, die die Herzogin ihr entgegenstreckte, und verabschiedete sich mit einem braven Knicks. Bevor die König ihr folgen konnte, eilte sie aus dem Nähzimmer.
So schnell wie möglich wollte sie nach Hause. Am frühen Nachmittag, das wusste sie dank Jörgs ausgiebigen Briefwechsels mit Veit, verließ ein Bote die Stadt Richtung Krakau. Bis dahin musste sie einige Zeilen für den Vetter zu Papier gebracht haben. Bei ihrer Abreise hatte sie Dora zwar hoch und heilig versprochen, ihm mit keiner Silbe etwas von ihrer Reise zu verraten, nun aber war der Moment gekommen, in dem Gret dieses Versprechen brechen musste. Die drohende Gefahr ließ ihr keine andere Wahl. Wenn jemand im fernen Krakau Dora beistehen konnte, dann war das Veit. Sie schnaufte. Ihr Gefühl beim Betreten von Doras Haus war also doch richtig gewesen, Renatas Vorhersage angesichts der verschwundenen Feuerkatze mehr als angebracht – es drohte Unheil. Viel zu lang hatte sie das verdrängt.
16
W ie ein gemeiner Dieb schlich sich Dora beim ersten Morgengrauen aus dem Schlafgemach, das sie mit Mathilda teilte. Die Base schlief tief und fest, bekam nichts von ihrem Aufstehen mit. Das freute Dora. Seit Baranami von Veits Aufenthaltsort gesprochen hatte, war Mathilda ihr nicht mehr von der Seite gewichen. So war es ihr verwehrt gewesen, ihn am Vorabend schon aufzusuchen, um ihn vor der drohenden Gefahr zu warnen. Das aber wollte sie nun wettmachen und die Gunst der frühen Stunde sowie Mathildas festen Schlaf nutzen. Trotz der ernsten Lage musste sie schmunzeln. Allmählich war sie eine regelrechte Meisterin im Davonstehlen, wusste, wie sie die Füße am besten aufsetzen musste, um keine der Holzdielen zum Knarren zu bringen und die Base aufzuwecken. Eines Tages würde sie Johanna davon erzählen und es ihr ebenfalls beibringen.
Trotz allen Geschicks war sie erleichtert, tatsächlich unauffällig zur Tür hinauszugelangen. Im Gang lauschte sie mit angehaltenem Atem. Außer Mathildas gelegentlichem Schnauben blieb alles ruhig hinter der Tür. Auf Zehenspitzen schlich sie vor zur Treppe, schlüpfte nahezu lautlos ins Erdgeschoss hinunter und wollte quer durch die düstere Gaststube zur Tür huschen. Am Vorabend hatte sie gehört, dass der Wirt sie beim ersten Hahnenkrähen zu öffnen pflegte.
»So früh schon auf den Beinen, Stöckelin?« Plötzlich kam die Wirtsfrau von der Herdstelle auf sie zu, in der einen Hand den Schürhaken, in der anderen ein Holzscheit. Ihr breites Gesicht leuchtete selbst im schwachen Dämmerlicht bereits deutlich rot vor Anstrengung. Dora hatte sie beim Feuermachen aufgeschreckt. Sie pustete sich eine dicke blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und blieb
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