Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
ihr an den Haaren und hielt ihr den Mund zu. Sie begann zu zappeln, zu treten, um sich zu schlagen, bis die beiden Männer sie an Armen und Beinen fassten und wie einen schweren Mehlsack quer über den Marktplatz schleppten, an sämtlichen Buden vorbei, die volle Länge der Tuchhallen entlang bis hinüber zur südwestlichen Ecke des Platzes.
Dort ragte der mächtige Rathausturm auf. Im Keller darunter befand sich das berüchtigte Stadtgefängnis, in dem sich der noch berüchtigtere Folterraum Wand an Wand mit einem der beliebtesten Bierkeller Krakaus befand. Wer dort landete, der hatte sich nicht nur wie ein gemeiner Dieb im Morgengrauen irgendwo davongeschlichen, der hatte sich etwas wirklich Schlimmes zuschulden kommen lassen. Dora aber konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb man sie dorthin schleppte und behandelte, als gehörte sie zu Recht zu dieser Sorte Abschaum. Es konnte sich nur um ein Missverständnis handeln. Steinhaus, Podski und die anderen würden das gewiss rasch aufklären. Der Finstere müsste sich bei ihr entschuldigen, und bis zum Abend wäre sie wieder frei.
18
W ieder einer dieser grauen, düsteren Tage, und das ausgerechnet im Juli! Eine alte Weisheit fiel Mathilda ein: »Wie’s Wetter an Siebenbrüdertag, es sieben Wochen bleiben mag.« Bis zum Siebenbrüdertag waren es nur noch zwei Tage. Noch aber sah es nicht danach aus, als würde der Regen je wieder versiegen. Das Wetter passte allerdings bestens zu ihrer Stimmung. Ein sonniger, warmer Sommertag wäre ihr als blanker Hohn erschienen. Unablässig trommelte der Regen gegen die Scheiben. Winzigen Sturzbächen gleich rannen die Tropfen auf dem Glas hinunter, sammelten sich am hölzernen Rahmen zu kleinen Seen. Längst war Mathilda die traurige Regenmelodie in Leib und Seele übergegangen, übertönte gar die Geräusche in der vollbesetzten Gaststube.
Gedankenverloren betrachtete sie ihre gefalteten Hände auf der sauber geschrubbten Tischplatte. Die Suppe hatte sie nicht angerührt, nur einmal zaghaft in das dunkle, harte Brot gebissen und an dem Becher mit Bier genippt. Es schmeckte grauenhaft. Selbst Dora gelang besseres. Was Wenzel Selege wohl dazu sagen würde? Bei dem Gedanken erfasste sie eine bislang nie gekannte Sehnsucht nach Königsberg. Höchste Zeit, den von Meister Jagusch in Marienwerder angedeuteten Geheimnissen auf den Grund zu gehen. Ehe sie allerdings dem bislang verkannten Braumeister Wenzel Selege unter die Augen treten durfte, musste sie sich um seine Tochter Dora kümmern. Das war sie auch dem Andenken ihres verstorbenen Vetters Urban sowie der kleinen Johanna schuldig. Seit zwei Tagen wurde die Base im Krakauer Stadtgefängnis festgehalten. Was man ihr genau vorwarf, wusste niemand zu sagen. Ebenso durfte niemand zu ihr, um mit ihr zu reden. Wie eine elende Strauchdiebin war sie eingekerkert. Mathilda wollte sich die Schmach, die Dora darüber empfinden musste, gar nicht erst ausmalen.
Eine heftige Böe peitschte einen kräftigen Schwall Regen gegen die Fensterscheiben. Der Wind zerrte an den Fensterangeln, blies durch die Ritzen des Rahmens ungnädig herein. Mathilda fror. Mutterseelenallein saß sie an ihrem Tisch direkt beim Fenster zur Floriansgasse. Seit Doras Verhaftung lastete eine bleierne Schwere auf ihren Schultern, die sie unfähig machte, etwas zu tun. Nicht einmal zu Schreibzeug und Papier konnte sie greifen, um nach Königsberg um tatkräftige Unterstützung zu schreiben. Ebenso wenig brachte sie es über sich, Steinhaus und seine Krakauer Freunde um Beistand anzuflehen. Seit Dora ins Gefängnis geworfen worden war, taten sie ohnehin alles, einer Begegnung mit ihr aus dem Weg zu gehen. Mittlerweile war Götz Steinhaus aus dem Gasthaus ausgezogen und wohnte bei Stanisław Podski in einem der herrschaftlichen Häuser an der Westseite des Großen Marktes. Offenbar hegten die Kaufleute nicht den geringsten Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Doras Verhaftung.
»So kann das beim besten Willen nicht weitergehen mit Euch.« Ungebeten schob Clas Tönnies seinen massigen Leib neben ihr auf die Bank, griff mit seinen kalten Fingern nach ihren Händen. Unwirsch sah sie auf. Sein Anblick erschreckte sie. Seltsamerweise leuchteten seine sonst so fahlen Wangen rosig, seine grünlich gelben Augen glänzten, und die von rotblauen Adern durchzogene Knollennase glühte. Er nahm das Barett vom Kopf, strich sich die struppigen aschblonden Haare zurück und lächelte. »Ich wüsste auch schon etwas, was
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