Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
erhob sich jedoch hastig und schickte die Magd in ihr Schlafgemach, um die wollene Schaube zu holen. Flink legte sie sie als Regenschutz über Kopf und Schultern und folgte Tönnies nach draußen.
In großen Schritten eilte der schwarzgewandete Pfarrer voraus, kaum darauf achtend, ob sie Schritt hielt. Der heftige Regen machte es allerdings leichter, ihn im Auge zu behalten, zeigte sich der Große Marktplatz um die Tuchhallen herum doch nahezu ausgestorben. Nur wenige Kauflustige drückten sich um die Krämerbuden, noch weniger hasteten wie Mathilda und Tönnies mitten durch den Regen quer über den Platz. Es dauerte nicht lange, bis Mathildas breite Lederschuhe mit Wasser vollgesogen waren. Unablässig tropfte es auch vom Kapuzenrand auf ihre Wangen herunter.
Zunächst meinte sie, Tönnies hielte genau auf das Rathaus zu, dann aber eilte er daran vorbei zu der südwestlich vom Markt wegführenden Straße. An der nächsten Ecke schon bog er nach rechts ab, um sie zu einem weit ausladenden Backsteingebäude mit einem auffälligen Erker im ersten Geschoss über dem Eingang zu führen. Bunte Fensterscheiben und ein hoch aufragender doppelter Stufengiebel ließen auf ein wichtiges Gebäude schließen. Vor dem im Vergleich zum restlichen Anwesen eher unauffälligen Portal blieb Tönnies stehen und pochte kräftig gegen die Tür.
»Wo sind wir?«, erkundigte sie sich.
»Das wisst Ihr nicht?« Erstaunt runzelte er die Stirn, kam jedoch nicht dazu, sich näher zu erklären, denn im selben Augenblick wurde die Tür geöffnet. Ein buckliger Greis tauchte vor ihnen auf.
»Bringt uns zur Libraria, wir werden dort erwartet«, brüllte Tönnies dem Alten mit zum Trichter geformten Händen ins Ohr. Der Mann nickte gehorsam und ließ sie ein.
Zunächst durchschritten sie einen gewölbten Gang, um sodann in einen riesigen vierseitig umbauten Innenhof zu gelangen. Zu ebener Erde umgrenzte ein großzügiger Arkadengang den Hof, der im ersten Geschoss als eine Art Balkon weiterlief. Das bestärkte Mathilda in ihrer Ahnung, dass sie sich in einem bedeutenden Gebäude befinden mussten. So reich mancher Krakauer Handelsherr dank der günstigen Lage der polnischen Residenzstadt an zwei sich kreuzenden Handelswegen auch geworden sein mochte, so würde sich dennoch niemand ein solches Anwesen leisten können. Mehrere eher junge Männer in schwarzen, knielangen Schauben eilten umher, entweder in anregende Gespräche vertieft oder aber ganz in Gedanken versunken. Gelangten sie auf ihre Höhe, schauten sie lediglich kurz auf und liefen dann weiter.
»Wo sind wir?«, hakte Mathilda bei Tönnies nach, der sie zu einer Treppe auf der rechten Hofseite geleitete. Schlurfend war ihnen der Greis vorausgegangen, den Buckel so weit nach vorn geneigt, dass Mathilda bereits fürchtete, er berührte mit der langen, dürren Nase bald den Boden. Am Fuß der Treppe blieb er stehen und wies mit zittriger Hand nach oben. Die Stufen wollte er sich offenbar nicht mehr zumuten. Tönnies steckte ihm zu Mathildas Verwunderung eine Münze zum Dank zu und erklomm die Treppe. Sie folgte ihm auf den offenen Umlauf im ersten Geschoss, bis er vor einer reichverzierten Tür stehen blieb. Das Portal über der Tür war von goldenem Zierat gekrönt, auf dem grüngestrichenen Holz des Türflügels fanden sich vergoldete Rosenknospen.
»Das Goldene Tor zur Weisheit«, erklärte Tönnies lächelnd und drückte dagegen. Sogleich gab es nach, und sie betraten einen prunkvollen Vorraum mit einer auffälligen Gewölbedecke. Mathilda stockte der Atem. Was Dora zu dieser Pracht sagen würde? Kaum wagte sie die Frage nach dem Sinn des Gebäudes zu wiederholen, beschlich sie doch allmählich eine Vermutung. Immerhin gab es außer dem königlichen Schloss eigentlich nur ein weiteres Gebäude in einer Stadt wie Krakau, das über eine Libraria, also eine Bibliothek, verfügen sollte – die Universität.
Ehrfurchtsvoll sah sie sich um, bewunderte die dunklen Gemälde an der Wand, den weit ausladenden Leuchter in der Mitte des Saales, den hölzernen Balkon oberhalb der Eingangstür. Tönnies half ihr aus der nassen Schaube, übergab sie zusammen mit seiner eigenen einem Diener, der unauffällig an sie herangetreten war. In der zweiten Tür erschien ein weiterer wie Tönnies von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleideter Mann, der allerdings von sehr gedrungener Gestalt war und statt einer gepflegten Haarpracht eine glänzende Glatze zur Schau trug.
»Mein lieber Tönnies, wie schön,
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