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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Johanna übers Land zu fahren und ihr das Gold der sich sacht im Wind wiegenden Kornfelder zu zeigen. Am Wegesrand würden sie Schafgarbe pflücken, sich die üppigen weißen Blütendolden an die Nase pressen und den satten würzigen Geruch einatmen. Dora schluckte, umklammerte die Phiole mit dem blauen Öl. Fast meinte sie den Duft des Sommers auf dem Land tatsächlich in der Nase zu schnuppern, Johannas kleine Hand warm in der eigenen zu spüren und die endlose Weite der wundervollen Landschaft vor sich zu sehen.
    Vielleicht würde sie Johanna eines Tages von dem alten Brauch erzählen, sich des Nachts eine Schafgarbendolde unter das Kopfkissen zu legen, um in der Nacht von seinem Liebsten zu träumen. Gleich trat ihr Veits geliebtes Gesicht vor Augen, das Urban auf rätselhafte Weise ähnelte. Welches Leid war ob dieses Traumes entstanden? Nein, so durfte sie nicht denken. Dank des Traumes hatte sie auch viel unverhofftes Glück empfunden. Die leidenschaftlichen Stunden mit Urban, das wundervolle Zusammensein in Ragnit und später im Wald der tanzenden Bäume hätte es ohne diese Traumbilder nie gegeben. Erst die Begegnung mit Veit aber hatte ihr die Augen für die wahre Liebe geöffnet, und die bestand aus weitaus mehr als aus entrückten Tänzen und leidenschaftlichen Nächten. Voller Wehmut erinnerte sie sich an ihre Gespräche über die Baukunst, das wahre Schaffen und an ihre Gedanken beim Betrachten des Marienaltars. Ohne Veit hätte sie ihn nicht so gesehen, wie sie es getan hatte, ohne ihn wäre ihr so viel Wundervolles entgangen.
    Ein schier unmenschlicher Schrei nebenan bereitete ihrer Träumerei ein abruptes Ende. Entsetzt zog sie den Kopf zwischen die Schultern, bangte um die geschundene Kreatur hinter der Mauer. Irgendwann versiegte das Geschrei, sie richtete sich wieder auf und atmete die von Urin, Kot und menschlichem Angstschweiß stickig gewordene Luft des Kellers ein. Bis zum nächsten Gebrüll blieben ihr abermals einige kostbare Augenblicke, sich an die Seite ihres Kindes und des Mannes zu träumen, den sie seit langem liebte.
    Dumpfe Schritte auf dem Gang ließen sie aufhorchen. Sie näherten sich aus den Tiefen des labyrinthartig angelegten Kellers direkt ihrer Zelle. Dicht stellte Dora sich ans Gitter, schaute in das dunkel klaffende Loch des Gangs. Nicht einmal bis zur nächsten Biegung reichte das Licht der Fackel, dafür aber waren die Schritte umso besser zu hören. Rasch wurden sie lauter. Bald war sie überzeugt, es handelte sich nicht um eine weitere Ration Brot oder Wasser. Ohnehin war seit dem letzten Mahl zu wenig Zeit vergangen, um neuen Nachschub wahrscheinlich zu machen. Ebenso klangen die Schritte auch anders als die des gewohnten Büttels. Wenn sie sich nicht täuschte, handelte es sich nicht um die Schritte eines Einzelnen, sondern um die zweier Männer. Ihr Herz begann zu rasen. Gleich tauchte der Henker auf, um sie in die Folterkammer zu holen. Angestrengt starrte sie in den Gang, hoffte, bald das Aufflackern einer Fackel zu erspähen, die hinter der nächsten Biegung auftauchte, um endlich Gewissheit zu erhalten.
    Auf einmal erfasste sie eine seltsame Ungeduld. So zerlumpt, wie sie aussah, wollte sie dem Henker nicht gegenübertreten. Die Düsternis überdeckte zwar ihr erbärmliches Aussehen, dennoch musste sie etwas tun, um sich halbwegs in einen Menschen zu verwandeln. Hastig begann sie das filzig gewordene Haar zu ordnen, die ein oder andere Laus mit dem Fingernagel zu zerquetschen und den vor Dreck starrenden Rock auszuklopfen. Gerade als sie wieder zum Gitter trat und aufblickte, stoppten die energischen Schritte genau vor ihrer Zelle. Sie blinzelte in das grelle Licht einer Fackel hinein, die jemand genau in Höhe ihrer Augen hielt. Langsam nur gewöhnten sich ihre Augen an die Helligkeit, und sie unterschied einzelne Konturen. Tatsächlich handelte es sich um zwei Männer, die da vor ihrem Verlies standen. Zu ihrer Verwunderung aber war es nicht der Henker mit dem Gerichtsvogt, sondern ein ihr bislang unbekannter Büttel mit dem Pfarrer Clas Tönnies.
    Zunächst stieg bittere Enttäuschung in ihr auf, um mit dem nächsten Atemzug blankem Entsetzen zu weichen. »Um Himmels willen!«, schrie sie und krallte sich an den Gitterstäben fest. Den Folterkeller wollte man ihr also ersparen und brachte ihr stattdessen gleich den Pfarrer, um sie auf das nahe Ende vorzubereiten. Die Aussicht auf ein schnelles statt ein qualvolles, langsames Sterben aber bereitete ihr

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