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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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keinerlei Erleichterung. Im letzten Moment hing man wohl doch an jedem noch so kläglichen Stück Leben und war zu allem bereit, um es nicht kampflos aushauchen zu müssen. Nebenan ertönte ein markerschütterndes Gebrüll. Selbst im trüben Licht der Fackel konnte Dora erkennen, wie Tönnies’ sonst so gelbliches Gesicht weiß wie Leinwand wurde.
    »Schöne Musik, nicht wahr?« Der Büttel grinste.
    »Bringt uns hier raus«, zischte Tönnies. »Wenn Ihr nicht sofort aufsperrt und die Stöckelin herauslasst, werde ich mich beim Gerichtsvogt beschweren.«
    »Tut nur, was Ihr nicht lassen könnt«, knurrte der grobschlächtige Mann gelassen, schickte sich allerdings tatsächlich an, umständlich an seinem Schlüsselbund nach dem passenden Schlüssel zu suchen und das Eisengitter aufzusperren. Dora wusste nicht so recht, wie ihr geschah. Fassungslos starrte sie den Büttel an.
    »Leider muss ich Euch enttäuschen«, erklärte er, halb vornübergebeugt, während er die Gittertür aufschob, um sie hinauszulassen. »Ich darf Euch nur in eine andere Ecke des Kellers begleiten, wo Ihr mit dem Pfarrer reden dürft, bevor Ihr weiter hier versauert.«
    Das war also doch nicht ihr Ende! Dora wollte aufjauchzen vor Freude. Schon für die Aussicht, eine Weile der Enge ihres Kerkers und dem Geschrei des Folterkellers zu entrinnen, wäre sie dem Mann am liebsten um den Hals gefallen. Ein kurzer Blick auf Tönnies hielt sie jedoch zurück. Der arme Mann schien sich kaum mehr von seinem Entsetzen zu erholen. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.
    »Welch große Gnade, Besuch zu empfangen, noch dazu von Euch, lieber Tönnies. Lasst uns die kostbare Zeit nutzen. Ehe wir es uns versehen, wird der Büttel Euch wieder in die Welt oberhalb des Kellers zurückbringen, und ich werde hier unten allein weiterschmoren. Bis dahin habe ich viele Fragen und hoffe, Ihr beschert mir nur gute Nachrichten.«
    Tönnies zeigte sich lediglich zu einem stummen Nicken fähig. Dora freute es, dass der Büttel sie weder grob anfasste noch wüst beschimpfte, wie es sonst bei seinesgleichen gegenüber den Gefangenen üblich war. »Los, gehen wir!«, rief er und stieß sie sacht mit der freien Hand in den dunklen Gang hinaus.
    Das Licht der Fackel reichte kaum, den Weg auszuleuchten. Nahezu blind marschierte Dora durch das unübersichtliche Gewirr der engen, endlos scheinenden Gänge unterhalb des Rathauses. Zwar besaß sie eigentlich ein hervorragendes Gefühl für Strecken und Räume, doch gelang es ihr schon nach erstaunlich kurzer Zeit kaum mehr, sich in diesem Irrgarten den Überblick zu bewahren. Längst war sie überzeugt, das Gassengewirr unterhalb des Rathauses erstreckte sich über eine weitaus größere Fläche als das Gebäude selbst, erreichte bald nahezu das Gelände unterhalb der Tuchhallen in der Mitte oder die Häuser am Rande des Marktplatzes, wenn nicht gar die Geschosse unter der Marienkirche im Nordosten des Großen Marktes. Die Länge des Weges, den sie zurücklegten, passte zumindest dazu. Sollte sie jemals wieder an die Oberfläche zurückfinden, musste sie dem genauer auf den Grund gehen.
    Dass sie selbst so tief unter der Erde und angesichts ihrer aussichtslosen Lage eher an baumeisterliche Herausforderungen denn an ihre mögliche Rettung dachte, war befremdlich. Dabei hatte sie eine kleine Tochter, für die sie überleben und nach Königsberg zurückkehren musste. Oder hatte sie die Hoffnung längst aufgegeben, die Kleine je wieder an ihr Herz zu drücken? Ein dumpfer Schmerz ließ sie zusammenfahren. Tief in ihren Kummer versunken, hatte sie nicht auf den Weg geachtet und sich die Stirn an einem herabhängenden Querbalken angeschlagen. Sie stolperte nach vorn. Da die beiden Männer hinter ihr liefen, schlug sie haltlos auf dem sandigen Boden auf, bremste den Aufprall mehr schlecht als recht mit ihren bloßen Händen. Davon schürfte sie sich die Handflächen blutig auf.
    »Małpa!«, fluchte der Büttel, weil er mitsamt Tönnies fast über sie gestolpert wäre. Jäh war es mit seiner Freundlichkeit vorbei, und er riss sie krude an einem Arm wieder hoch. Sein harter Griff schmerzte fast noch mehr als das Hinfallen. Zugleich spürte sie Blut über ihre Wangen rinnen. Sie musste sich die Stirn blutig geschlagen haben. Auf einmal tat ihr Kopf höllisch weh, doch es war nicht an der Zeit, laut zu lamentieren. Sie biss sich auf die Lippen, tapperte weiter, emsig darauf bedacht, sich nichts von ihrem Schmerz anmerken zu lassen und

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