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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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sonst kommt ein Mensch gleichzeitig zu einem grünen wie zu einem blauen Auge?«
    »Was?«, brüllte der Gerichtsvogt, warf die Papiere achtlos beiseite und eilte in wenigen Schritten auf sie zu. Dieses Mal wartete er nicht, bis der Büttel sie an den Armen nach oben riss, sondern griff gleich selbst zu und zerrte sie über den kalten Steinboden hinüber zum Fenster. Dort zog er sie roh zu sich hoch, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten, und sah ihr mit seinen kurzsichtigen, nahezu schwarzen Augen prüfend ins Gesicht. »Ihr habt recht! Ein wahrer Ausbund des Teufels!« Angeekelt stieß er sie fort. »Zurück in den Kerker mit ihr. Und dann bestellt den Henker. Er soll sie ein wenig befragen. Mir scheint, sie hat uns noch weitaus mehr zu berichten als nur den abscheulichen Mord an ihrem Gemahl.«
    Der Büttel riss sie an den Haaren hoch, schubste sie zur Tür. Sie schaute zur Wand. Steinhaus und die beiden anderen Kaufleute hielten die Köpfe gesenkt, vermieden es allzu offensichtlich, dem weiteren Geschehen genauer zu folgen. Trotzdem wandte sich der Gerichtsvogt mit seinen nächsten Worten ausdrücklich an die Männer.
    »Wenn Ihr Euch gut unterhalten wollt, dann besucht heute Nachmittag den Bierkeller hier im Rathaus, sucht Euch einen Platz nah an der Wand. Ihr wisst, dass man in der Wirtsstube das berühmte Gebräu aus Schweidnitz ausschenkt. Es wird Euch umso besser schmecken, wenn Ihr dazu das Gebrüll aus dem benachbarten Folterkeller hört. Dort wird die Stöckelin dem Henker Rede und Antwort stehen. Ihre Stimme werdet Ihr gleich erkennen.« Dröhnend lachte er los.
    Auf einmal wusste Dora, dass weder der elende Gestank, der unsägliche Dreck noch all die vielen Menschen in dem engen Ratsgefängnis oder das dumpfe, unendliche Warten sie je zum Aufgeben gebracht hätten. Dafür aber stand ihr nun etwas bevor, was sie gewiss binnen kürzester Zeit zu brechen vermochte – die Begegnung mit dem Henker und seinen Werkzeugen.

Dritter Teil
    Krakau/Königsberg
    Herbst 1546
    1
    D ora kauerte in der hinteren Ecke ihrer winzigen Zelle auf dem Boden, die Beine eng angewinkelt, die Ellbogen auf die Knie und den Kopf in die Hände gestützt. Diese Haltung hatte zwei Vorteile. Zum einen wärmte sie, was in dem kühlen, feuchten Kellerverlies auf Dauer sehr wichtig war, und zum anderen konnte Dora auf diese Weise rasch die Hände auf die Ohren pressen, um die sich gelegentlich ins Unerträgliche steigernden Schreie zu überstehen. Im Nachbarverlies befand sich der berüchtigte Folterraum des Krakauer Henkers, der auf seiner zweiten Wand an den Bierkeller grenzte. Der Qual der Gefangenen zu lauschen und sich dazu das frisch ausgeschenkte Schweidnitzer Bier zu Gemüte zu führen, galt bei den Besuchern der Stadt als beliebte Attraktion. Dora schätzte sich glücklich, bislang noch nicht zu dieser Art der Belustigung beigetragen zu haben, auch wenn der Gerichtsvogt ihr das letztens so höhnisch in Aussicht gestellt hatte. Stattdessen hatte man sie zu ihrer Verwunderung schon vor Auftauchen des Henkers in das benachbarte Verlies geworfen. Seither hockte sie mutterseelenallein in dem kaum einen Klafter langen und etwas mehr als zwei Ellen breiten Loch und wartete, was weiter mit ihr geschehen würde. Manchmal befürchtete sie, dieses Warten dauerte bis in alle Ewigkeit.
    Das Licht der Fackel, die draußen auf dem Gang brannte, reichte kaum aus, die Wände in ihrer vollen Höhe zu betrachten. Trotzdem kannte Dora inzwischen jeden einzelnen der unzähligen Bruchsteine in all seinen Rundungen, Ecken und Kanten. Ebenso wusste sie über sämtliche Ritzen zwischen den Steinen Bescheid und hatte längst Freundschaft mit den Ratten geschlossen, die sich in der Hoffnung auf ein paar Brotkrumen immer wieder aufs Neue durch sie hindurchzwängten und ihr für eine Weile Gesellschaft leisteten. Um die treuen Gefährten nicht zu enttäuschen, sparte sie sich gern einige Krümel von dem halb schimmeligen Brot vom Munde ab. Das Gezeter der nebenan Gefolterten aber hielten die Nager nicht aus. Sobald es anhob, trieb es sie fluchtartig in ihre Schlupflöcher zurück.
    Jäh brach der Lärm ab. Beseelt von der plötzlich eingekehrten Stille, lehnte Dora den Kopf gegen die rauhe Mauer, richtete den Blick nach oben in das Dunkel und malte sich aus, wie der Himmel draußen aussehen mochte, welche Wolkenformen über das blaue Firmament zogen, ob es regnete oder die Sommersonne die Ernte auf den Feldern reifen ließ. Wie schön wäre es, mit

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