Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
begegnet. Im innigsten Moment ihrer Zweisamkeit hatte Dora ihn als Dritten im Bunde hinzugerufen. Vor Scham wurde ihr heiß. Sie wollte die Augen schließen und vergessen. Sogleich aber stand ihr Veit vor Augen, verzauberte sie wie ehedem mit seinem Blick, führte sie mit seiner Unternehmungslust gefährlich in Versuchung. Ein verräterisches Kribbeln breitete sich in ihrem Leib aus. Hörte das nie auf?
Wieder und wieder sah sie vor sich, wie Veit Urban letztens in seinem eigenen Haus gegenübergestanden, ihn in seiner wunderschönen, volltönenden Stimme angesprochen hatte. Aus unerfindlichen Gründen hatte Urban ihm lediglich zögernd zu antworten vermocht. Die beiden Männer direkt vor sich gehabt zu haben und dabei unwillkürlich miteinander vergleichen zu müssen, war die reinste Tortur gewesen. Wie festgewachsen hatte Dora sich in ihrem Versteck auf dem Treppenplatz gefühlt, unfähig, sich dieser Qual aus eigener Kraft zu entziehen. Immerzu hatte sie Veit und Urban anstarren müssen. An jeder einzelnen Faser seines Leibes war Veit die Selbstgewissheit anzusehen gewesen, mit der er durchs Leben schritt. Beeindruckend kräftig und zu allem entschlossen hatte er dem hageren, würdevollen Urban gegenübergestanden. Beide pflegten sich in elegante, dunkle Tuche zu kleiden und sich fließend zu bewegen, Veit jung und leidenschaftlich, zu allem bereit, Urban dagegen älter und besonnener, zurückhaltend in allem Tun, Denken und Fühlen. Kein Zweifel, für wen ihr Herz höherschlug. Stundenlang hatte sie das gespürt, während sie schließlich in der geräumigen Werkstatt über der Wohnstube ausgeharrt und Veit genau unter ihren Füßen gewusst hatte. Arbeiten war ihr unter diesen Umständen unmöglich gewesen. Die kostbare Fischblasenpause war ihr an diesem Nachmittag gründlich misslungen. Voller Scham vergrub sie ihr glühendes Gesicht in den Kissen.
Schritte aus der Stube über ihr lenkten ihre Aufmerksamkeit Richtung Decke. So wie letzten Mittwoch Veit im Raum unter ihr, so weilte Urban seit bald einer Woche nächtens im Raum über ihr. Jede seiner Bewegungen konnte sie verfolgen, jedes noch so leichte Räuspern von ihm hören. Ebenso wie ihr war auch Urban keine Ruhe vergönnt.
Die gestrige Begegnung mit Veit ging ihr durch den Kopf. Regelrecht aufgelauert schien er ihr in der Junkergasse zu haben. Sie ärgerte sich noch immer darüber, ihn zum Schlossgarten geführt und ausgerechnet auf die Aussichtsplattform der Linde begleitet zu haben. Nur zu gut hatte sie gewusst, dass es ein Spiel mit dem Feuer war, sie sich damit selbst bedenklich nah an den Rand des Abgrunds brachte. Längst musste Veit wissen, wie es um sie stand. Von Urban ganz zu schweigen. Wie in einem offenen Buch konnten die beiden in ihr lesen. Sie stöhnte, hielt die brennende Hitze in ihrem Leib nicht mehr aus, schlug die Decke zurück, starrte ins Dunkel. Offenbar drängte es sie tief in ihrem Inneren danach, sich der Gefahr stets von neuem auszusetzen.
Irgendwann musste sie eingeschlafen sein. Großes Glockengeläut weckte sie. Verdutzt fuhr sie auf, rieb sich die Augen. Um sie herum lag alles in tiefster Nacht. Das Lärmen, Rufen, Bellen und Jaulen vor dem Fenster erweckte jedoch den Anschein, als wäre die Hölle losgebrochen. Über ihr im zweiten Geschoss stürmte Urban aus der Studierstube, polterte mit seinen schweren Schritten die Treppe herunter. Am Trippeln von leichteren Schritten erkannte Dora, dass Elßlin und Mathilda aus dem Dachgeschoss eilten. Erstere wimmerte, Letztere schimpfte aufgebracht, bis Urban beide barsch zurechtwies. Es musste etwas Schlimmes geschehen sein. Sie setzte sich auf, schlüpfte mit den nackten Zehen in die Schlappen und eilte auf den Flur. Gerade noch sah sie, wie Urban mit der Fackel in der Hand aus der Küche lief und ins Erdgeschoss hinunterrannte.
»Wartet!«, rief sie ihm nach, stieß Mathilda beiseite, die sie am Treppenabsatz aufhalten wollte. Elßlin kreischte auf, wäre ihr doch beinahe das Talglicht aus der Hand gefallen. »Was ist geschehen?«
Erst unten in der Diele, kurz vor der Haustür, blieb Urban stehen und drehte sich um. Der Schein der Fackel beleuchtete sein kalkweißes Gesicht. Sie erschrak. Obwohl es mitten in der Nacht war, war er vollständig bekleidet. Selbst die Schaube hatte er übergezogen. Die Fackel in der einen, das schwarze Barett in der anderen Hand, sah er sie mit todernstem Gesicht an. »Es brennt. Ich muss ins Schloss.«
»Wartet! Woher wisst Ihr …« Sie wollte
Weitere Kostenlose Bücher