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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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war bis auf die Grundmauern ausgebrannt. Dort, wo letztens noch mit Fialen und Blendwerk verzierte Hauseingänge oder stilvoll gestaltete Wimperge zu bewundern waren, schaute man nun in schwarz klaffende Löcher. Die Scherben der Fensterscheiben waren reichlich über das Straßenpflaster ausgesät. Bei jedem Schritt knirschte es unter den Schuhsohlen.
    Als sie um die letzte Ecke der Domgasse bogen und den ersten Blick auf das Anwesen der Seleges werfen konnten, das sich seit ziemlich genau einhundert Jahren im Besitz der Familie befand, stockte Dora der Atem. Der breite Beischlag mit dem säulenverzierten Aufgang schien unversehrt, ebenso ragte die Vorderfront stolz wie eh und je in den Himmel empor. Der vergoldete Wetterhahn auf der Giebelspitze hatte jedoch sämtlichen Glanz eingebüßt, die Steinfiguren waren von den Giebelstufen herabgestürzt und auf dem Vorplatz zerschellt. Von dem hölzernen Dachstuhl war nur mehr ein rauchendes Skelett übrig, das einen traurigen Einblick in den gründlich ausgebrannten Speicher gewährte. In den tieferen Geschossen prangten rund um die Fensterstürze schwarze Rußfelder, die das erzürnte Aufzüngeln der Feuersäulen auch einen halben Tag nach der Brandnacht bestens nachvollziehen ließen. Sämtliche Fensterscheiben waren zerborsten. Mitten in der kunstvoll geschnitzten Eingangstür steckte eine Axt, spaltete das Eichenholz. Die dahinter liegende Diele wirkte überraschend unversehrt, wie der Blick durch die leeren Fensterhöhlen bewies. Beim Näherkommen entpuppte sich das jedoch als Trug. Ein Teil der Holztreppe ins Obergeschoss war verbrannt, die kläglichen Reste stark verkohlt. Schuttberge auf dem arg in Mitleidenschaft gezogenen Fliesenboden verrieten, dass noch weitere Überreste von oben heruntergefallen waren. Das Ärgste war für Dora jedoch der Anblick einer mutlosen Gestalt, die inmitten der Trümmer auf einem umgedrehten Fass kauerte.
    »Vater!«, rief sie, riss sich von Urbans Seite los und stürmte in das halb zerstörte Haus. Träge wandte Wenzel Selege sich um und schaute ihr aus leeren Augen entgegen. Sie meinte der größten Hoffnungslosigkeit ins Auge zu sehen.
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    S päter erinnerte sich Dora nicht mehr, wie lange sie neben dem Vater ausgeharrt hatte. Schweigend hatte sie einfach neben ihm gestanden, hatte nicht einmal gewagt, ihm die Hand tröstend auf die Schulter zu legen. Nichts an ihm verriet, ob er ihre Anwesenheit überhaupt bemerkte. Urban hielt sich einige Schritte entfernt, um ihr notfalls sofort beistehen zu können. Erst als eine schrille Frauenstimme auf der Domgasse ertönte, erwachte Dora aus ihrer Starre.
    »Hör endlich auf mit dem Geplärre«, forderte eine energische Frauenstimme mit weichem Zungenschlag. Dem Befehl folgte eine laut klatschende Maulschelle, was das Schreien einen Moment lang unterbrach. Umso fürchterlicher setzte es wenig später wieder ein. Kurz darauf zerrte die gertenschlanke Gret die spindeldürre Renata die Treppen des Beischlags hinauf. Oben angekommen, hielt sie keuchend inne. Obwohl Renata kaum mehr als über das Gewicht eines Spatzes verfügte, kostete Gret das Schleppen immense Kraft. Ihr schmales Gesicht glühte vor Anstrengung. Im Eifer des Gefechts musste sie ihre Haube verloren haben. Die Sonne ließ ihr dickes blondes Haar bernsteingolden aufleuchten. Dora spürte einen Anflug von Neid, als sie sich vorstellte, wie samtig weich sich die Pracht anfühlen mochte. »Oh!«, entschlüpfte es der Schwägerin überrascht, als sie beim Betreten der Diele Doras und Urbans ansichtig wurde. Mit einem sanften, aber bestimmten Schubs stieß sie Renata beiseite. Einem Sack Malz gleich fiel die Magd zu Boden und igelte sich zusammen. Endlich hörte das Schreien auf.
    »Ihr solltet Euch setzen.« Urbans Stimme klang zunächst heiser, dann räusperte er sich. Flink stellte er einen dreibeinigen Schemel auf, der auf wundersame Weise das Feuer nahezu heil überstanden hatte, und wies einladend mit der Hand darauf. Die Art, wie er Gret dabei anschaute, verwunderte Dora. »Gestattet, dass ich mich vorstelle: Urban Stöckel, herzoglicher Kammerrat und Doras Gemahl. Ihr seid vermutlich meine Schwägerin Gret, die Gattin meines lieben Schwagers Jörg. Wie schade, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen. Darf ich Euch etwas Wein oder Bier holen? Ihr solltet Euch eine Weile ausruhen.«
    Dora ärgerte das dienstbeflissene Gebaren ihres Gemahls. Er tat geradezu so, als hätte er Herzogin Dorothea persönlich vor sich.

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