Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
schlang er sich das Tuch so gewandt um die Hüften, dass sie keinen Moment lang seiner Blöße ansichtig wurde. Ähnlich geschickt schlüpfte er in frische Kleidung, ließ das Handtuch erst fallen, als Hose und Hemd den Körper bereits vollständig bedeckten. Dora bedauerte seine übertriebene Scham, hatte sie doch vorhin erst erlebt, welche Freuden auch sein fast fünfzigjähriger Leib noch bereithielt. Klopfenden Herzens verfolgte sie, wie er zu ihr ans Bett trat. Erwartungsvoll streckte sie ihm ihren Mund entgegen und schloss die Augen. Zu ihrer großen Enttäuschung küsste er sie dieses Mal jedoch lediglich flüchtig aufs Haar.
»Die Pflicht ruft. Begleitet Ihr mich in den Kneiphof?«
Seine Worte rissen sie jäh in die Wirklichkeit zurück. Plötzlich standen ihr die schrecklichen Ereignisse der letzten Nacht wieder vor Augen. Wie hatte sie so selbstsüchtig sein und das alles verdrängen können? Während sie sich selig Urbans Liebkosungen hingegeben hatte, verharrten ihre Brüder und ihr Vater weiter in Todesangst. Die Angst um ihre Familie flammte wieder auf.
»Verzeiht, das war kein guter Vorschlag. Ihr solltet Euch besser schonen. Ich gehe allein.« Noch einmal hauchte er ihr einen Kuss auf die Stirn, strich ihr sanft über die Wange. Sie fasste nach seiner Hand, umklammerte sie wie eine Ertrinkende.
»Ich komme mit.«
13
S eite an Seite verließen Dora und Urban das Haus, liefen den Mühlenberg hinunter. Die festtägliche Schaube wärmte viel zu sehr, der kostbare Pelzkragen war Dora unbehaglich. Schmerzlich vermisste sie den schlichten Umhang, den sie in der Nacht einem der Verletzten überlassen hatte. Sie lockerte den Kragen, fächelte sich ein wenig Luft zu, wedelte so auch den beißenden Geruch nach Verbranntem weg, der nach wie vor über der Stadt hing.
Die bedrückte Stimmung lastete schwer auf Dora, steigerte ihre Sorge, wie es um ihre Familie im Kneiphof stehen mochte. Noch immer waren die Straßen nahezu leer und die Buden geschlossen. Lediglich die hie und da herumrollenden leeren Eimer, liegengebliebene Schaufeln sowie verlorene Becher und Kleidungsstücke kündeten von dem, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Eine Handvoll verwahrlost aussehende Kinder und Landstreicher streunte über den Marktplatz, durchstöberte die Reste nach Verwertbarem. Der Wind frischte auf, wirbelte einige leere Blätter Papier durch die Luft.
»Die Verletzten hat man entweder zu Verwandten oder ins Rathaus gebracht«, erklärte Urban, sobald er Doras suchenden Blick über den verlassenen Markt gewahr wurde. Flüchtig wies er auf das prächtige Rathaus an der Ostseite des langgestreckten Platzes, das erst wenige Jahre nach Doras Geburt errichtet worden war. Auf der astronomischen Uhr an einem der Türme rückte gerade der große goldene Zeiger auf die Zwölf vor, der kleine sprang auf die Drei. Begleitet vom Schlag der hellen Glocke im zweiten Turm, riss der dort angebrachte Japper sein Maul auf und streckte die Zunge heraus.
»Ihr werdet sehen, Eure Familie ist sicher noch einmal davongekommen.« Zur Beruhigung legte Urban ihr den Arm um die Schultern und zog sie sanft an sich. Sie genoss die ungewohnte Zärtlichkeit, schmiegte im Weitergehen die Wange gegen den wollenen Kragen seiner Schaube. »Nicht alle Kneiphofer haben sich in der letzten Nacht auf die andere Pregelseite flüchten müssen«, fuhr er fort. »Im westlichen Teil der Stadt gab es für die Brandopfer ebenfalls reichlich Hilfe. Trotz der gewaltigen Feuersbrunst ist das Unglück erstaunlich glimpflich abgelaufen. Die lange Trockenheit der letzten Wochen hat dem Feuer zwar leichtes Spiel bereitet, doch es hätte weitaus schlimmer kommen können. Wir haben keine Toten zu beklagen. Außer dem Nordturm des Domes sind zwar auch einige Häuser und Buden Opfer der Flammen geworden, größtenteils handelt es sich jedoch um neu errichtete Gebäude, die noch leer stehen. Das neue Kollegium wurde verschont. Ebenso ist am Dom außer dem Turm lediglich der Dachstuhl im Hauptschiff zerstört.«
»Was ist mit meinem Elternhaus? Wisst Ihr schon Genaueres?« Dora wagte kaum, die Frage auszusprechen. Urban kam jedoch nicht dazu zu antworten.
»Gut, dass Ihr kommt, Kammerrat Stöckel!« Das Barett wild durch die Luft schwenkend, eilte von der Schmiedebrücke her ein untersetzter Mann auf sie zu. Dora erkannte in ihm den Schreiber Hubart aus der Rentkammer. Sein kahler Schädel glänzte im Sonnenlicht, der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er keuchte vor
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