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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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»Wo sind Jörg und Lienhart?«, platzte sie ungeduldig dazwischen.
    »Dora, Liebe!«, mahnte Urban in ungewohnt strengem Ton. »Lasst die arme Frau erst einmal zu Atem kommen.«
    Umsichtig bot er Gret den Arm, geleitete sie zu dem Schemel. Die ganze Zeit über schaute er sie wohlwollend an. Dora blieb die Luft weg. Natürlich freute es sie, dass ihr Gemahl im Gegensatz zu so manch anderem ein geschliffenes Betragen an den Tag legte, aus unerfindlichen Gründen aber schien ihm gerade die Sorge um das Befinden der Schwägerin weitaus wichtiger als die Suche nach Lienhart und Jörg. Ungeheuerlich! Gret war in Sicherheit, von den Brüdern aber fehlte jede Spur. Wenzel Selege begann leise zu wimmern. Beunruhigt sah Dora zu ihm. Der Vater wischte sich mit der Rechten über das Gesicht. Dabei wurde Dora des kleinen Buches gewahr, das er zuvor umständlich in die Linke gewechselt hatte. Bislang hatte sie das ganz übersehen. An dem schweinsledernen Einband mit dem eingeprägten Familienwappen erkannte sie das Buch sogleich. Es handelte sich um das Haushaltsbuch von Agnes Selege, der Gemahlin von Ahn Laurenz. Es rührte Dora zu sehen, wie teuer Wenzel offenbar die Rettung dieses Buches war. Andererseits erschreckte es sie auch. Gewiss wäre es für Jörg aus allen Besitztümern im Haus das Wichtigste gewesen, was er dem Feuer entrissen hätte. Wo also steckte der Bruder, wenn nicht hier bei diesem für ihn so bedeutsamen Schatz?
    »Vater«, Dora berührte Wenzel an der Schulter, »wo sind Jörg und Lienhart? Was ist mit den beiden geschehen?«
    »Mach dir keine Sorgen«, schaltete sich Gret ein. »Jörg ist wohlauf. Die ganze Nacht hat er fleißig mit angepackt, um den Flammen die Stirn zu bieten. Leider war der Kampf nahezu aussichtslos. Dabei hat Jörg bis zuletzt alles darangesetzt zu retten, was noch zu retten war.« Müde nickte sie in das halb zerfallene Haus.
    »Und Lienhart?« Doras Herz pochte heftig. »Sagt mir endlich, was mit ihm ist. Großer Gott, er ist gerade erst zehn!«
    »Dora, mein Augenstern, beruhigt Euch!« Urban kam auf sie zu. Sie wehrte ihn ab.
    »Vater! Wo ist Euer jüngster Sohn?«, schrie sie Wenzel an.
    »Als das Feuer alles im Griff hatte, muss Lienhart davongerannt sein«, sagte Gret leise, dann räusperte sie sich, bis ihre Stimme zur gewohnten Festigkeit zurückgefunden hatte. »Niemand von uns hat es so richtig mitbekommen. Wir waren einfach alle zu sehr damit beschäftigt, die Flammen zu bekämpfen und ein paar wenige Habseligkeiten vor der Feuersbrunst zu retten. Du machst dir keine Vorstellung, wie es letzte Nacht hier im Kneiphof zugegangen ist.« Vorwurfsvoll sah sie Dora an. Dabei wurde sie Doras Feiertagsschaube gewahr. Missbilligend verzog sie den Mund. Am Tag nach dem Unglück im besten Gewand in den Kneiphof zu gehen, musste ihr bitter aufstoßen. Verlegen strich Dora über den Stoff und suchte nach einer Erklärung, doch Gret redete bereits weiter: »Kaum mehr als das nackte Leben haben wir retten können und sollten trotz allem dafür dankbar sein. Der Dom stand lichterloh in Flammen, der Marktplatz war eine einzige Feuerhölle. Aus jedem Haus drang dichter Qualm. Kaum hat man die eigene Hand vor Augen sehen können. Von überall her drangen Schreie. Zwar ist es den Rottmeistern gelungen, einigermaßen schnell die Löschketten aufzustellen, trotzdem sind viele wie von Sinnen herumgeirrt. In all dem Rauch war schlecht zu erkennen, wer wer ist. Als es dann hieß, die Tore zur Altstadt stünden offen, hat es kein Halten mehr gegeben. Wie die Wahnsinnigen ist ein Großteil der Leute Richtung Pregelbrücken gestürmt. So manche Kinder sind in dem kopflosen Gerenne verlorengegangen, auch kleinere und größere als Lienhart. Seit der Morgendämmerung wird nach ihnen gesucht. Jörg hat sich einigen Nachbarn angeschlossen, die den westlichen Teil des Kneiphofs Haus für Haus durchkämmen. Dort ist alles vom Feuer verschont geblieben. Wer weiß, ob Lienhart nicht bei einem der Burschen aus seiner Schule Unterschlupf gefunden hat. Hätte er es in die Altstadt geschafft, wäre er sicher direkt zu dir gelaufen.«
    Dem konnte Dora nur zustimmen. Trotz seiner knapp zehn Jahre besaß ihr Bruder bereits genug Verstand, im Falle eines Falles bei ihr und Urban Schutz zu suchen. Dass er das nicht getan hatte, konnte nur Schlimmes bedeuten.
    »Ich muss ihn finden«, murmelte sie und stürzte davon, ehe sie jemand aufhalten konnte. So schnell sie konnte, lief sie in den unversehrten Westen des

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