Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
den Kneiphof zurückkehrt. Ich werde Euch einen Weg zeigen, den Ihr unbehelligt nehmen könnt.«
»Danke.« Knapp drückte sie ihm die Hand. Er nickte und pochte einmal kurz und zweimal lang gegen die Tür. Umständliches Schlüsselrasseln war zu vernehmen, bevor sich die Tür öffnete und ein Stadtknecht seinen schwarzen Kraushaarkopf herausstreckte.
»Lasst uns durch!«, befahl Steinhaus und schob den Mann beiseite. Dora folgte ihm in den Keller. Sie hörte den Stadtknecht die Tür wieder fest verschließen. Zu ihrer Beruhigung blieb er als Wachposten zurück, während Steinhaus halb gebückt durch den Gang hastete. Sie musste sich sputen, um Anschluss zu halten.
Eine beredte Stille hing in dem kargen Gang. Er war so eng, dass sie die Arme nicht zur Seite ausstrecken konnte. Auch über ihrem Kopf blieb kaum mehr als eine Elle Luft. Im Abstand von einem Klafter steckte jeweils eine Fackel in einer gusseisernen Halterung. Ihr im Luftsog unruhig flackerndes Licht ließ den breiten Rücken des wenige Schritte vor ihr gehenden Steinhaus’ gespenstisch wirken. Gelegentlich tauchte eine Tür oder eine Wandnische auf, einmal fand sich darin ein in die Lücke genau eingepasstes, von grauem Staub und dicken Spinnennetzen überzogenes Regal. So unheimlich der Keller auch war, fühlte Dora sich angesichts des vor dem Rathaus wartenden Pöbels gut darin geborgen. Nie zuvor war sie in diesem Teil des Kneiphofer Rathauses gewesen, dabei war der Vater vor einigen Jahren mit dem Ausbau des unterirdischen Gewölbetraktes beschäftigt gewesen. Dora stolperte, stützte sich unwillkürlich an der rauhen Ziegelwand ab. Dabei riss sie sich die Haut an den Handballen auf. Es brannte entsetzlich. Steinbrösel bröckelten von der Wand. Achtlos schob sie sie mit der Fußspitze weg. Mäuse- und Rattenkot übersäte den unebenen Boden. Wenn sie die Ohren spitzte, meinte sie entferntes Fiepen zu vernehmen. Oder war das das Wimmern der armen Renata?
Endlich stoppte Steinhaus an einer Tür auf der rechten Seite des schmalen Ganges. Auf einem Schemel kauerte ein zweiter Stadtknecht. Das Kinn war ihm nach vorn auf die Brust gesackt, angesichts der muffigen Luft und dem schlechten Licht kein Wunder. Unsanft rüttelte Steinhaus ihn wach. Erschrocken fuhr der Mann auf, nahm vor dem Ratsherrn Haltung an. »Mach die Tür auf, wir holen die Frau.«
Gehorsam tat der verwachsene Mann, wie ihm geheißen. In den Angeln quietschend, öffnete sich die niedrige Tür. Es blieb seltsam still. Kaum wagte Dora, Steinhaus in die Zelle zu folgen. Stockfinster war es darin. Der Stadtknecht brachte eine Fackel, die den winzigen fensterlosen Raum sofort in helles Licht tauchte. In der hintersten Ecke, in der ein Haufen schmutzigen Strohs zusammengefegt war, kauerte eine Gestalt. Der Stadtknecht schob sich an Dora und Steinhaus vorbei und trat mit dem Fuß gegen das reglose Bündel. »He, aufwachen! Du kommst raus.«
Es dauerte eine Weile, bis sich das Bündel bewegte. Nur mit Mühe konnte Dora in ihm die dürre Renata erkennen. Keuchend setzte sie sich auf, stützte die mageren Arme auf die Beine, erhob sich schließlich in den Stand und starrte die Besucher ausdruckslos an. Das faserige aschblonde Haar hing schlaff von dem kleinen Kopf, die Augen waren rot verquollen, die Nase triefte. Wie ein zahnloses altes Weib kaute sie unablässig auf den Lippen, die davon blutig geworden waren. Das Leinenkleid und die ursprünglich weiße Schürze waren grau vor Schmutz, die Haube wie auch den wollenen Umhang hatte sie verloren. Lediglich die Schuhe sahen noch einigermaßen brauchbar aus.
»Gnade uns Gott, dass wir die Zeichen nicht haben sehen wollen! Zu Asche verbrannt ist unser Leben, für alle Ewigkeit zerstört, was wir für wichtig gehalten haben. Aus Staub sind wir gemacht, zu Staub werden wir wieder zerfallen. Nichts anderes soll uns das große Feuer zeigen. Seht, wie es dort auflodert! Selbst das Haus unseres Herrn hat es nicht verschont. Zu viele gottlose Reden sind darin gehalten worden.«
Steinhaus quittierte die wirren Sätze mit einem missfälligen Brummen, der Stadtknecht kicherte in sich hinein.
»Komm, Renata, lass uns gehen.« Sanft fasste Dora sie an der Hand, dabei den strengen Geruch nach Urin und Kot ignorierend, den die Ärmste verströmte. »Zu Hause wartet ein duftendes Bad und saubere Kleidung. Elßlin wird dir eine kräftige Suppe bereiten. Du wirst sehen, alles wird sich zum Besten fügen.«
»Feuer, überall Feuer! Seht Ihr das nicht?
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