Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Niemals kommen wir ungeschoren davon. Unsere Hoffart hat dazu geführt, dass Gott uns strafen muss. Viel zu kühn haben wir uns gegen ihn und seine Lehren gestellt. Wer hoch hinauswill, der wird tief fallen, bis in die glühend heiße Hölle, wo er verbrennt wie ein elender Kienspan.«
Renatas Augen leuchteten auf, als sie ihre Ahnungen weiter kundtat. Dora vermied es, darauf einzugehen. Sie vermutete, allein das Wort Feuer oder Brand von neuem auszusprechen würde die arme Frau nur immer tiefer in den Abgrund der Tollheit stürzen.
Ohne ein weiteres Wort geleitete Steinhaus sie beide durch den schmalen Gang zurück. Zu Doras Verwunderung führte er sie jedoch an der Tür, vor der der Kraushaarige Wache hielt, vorbei. Dass der Gang in die entgegengesetzte Richtung eine Fortsetzung besaß, war Dora vorhin gar nicht aufgefallen. Dieses Mal fehlten die Fackeln an den Wänden, dafür trug Steinhaus nun die Fackel des verwachsenen Stadtknechts vor sich her und beleuchtete damit den Weg. Dora musste aufpassen, nicht noch einmal zu stolpern, denn sie sah kaum mehr bis zum Boden. Renata zog sie am Handgelenk hinter sich her. Seit Verlassen der Zelle murmelte sie statt der Feuerprophezeiungen unablässig Gebetszeilen vor sich hin.
»So, da wären wir«, verkündete Steinhaus, blieb unerwartet stehen und drehte sich mit hoch über dem Kopf erhobener Fackel um. Da erst bemerkte Dora, dass der Gang sich zu einem Vorraum geweitet hatte, der von einem hohen Gewölbe überspannt war. Die Tür, auf die der Kaufmann zeigte, war schmal und ungewöhnlich hoch. Umständlich kramte er in den Weiten seines Faltrocks einen Schlüssel heraus und schloss auf. Zu Doras Enttäuschung öffnete sich die Tür nicht nach draußen, sondern in einen weiteren Keller. Zögernd trat sie ein, sah sich um. Mannshohe Holzfässer lagerten an den Wänden, Wasser tropfte aus dem schwitzenden Gestein auf den Boden. Das stete Blubbern verhallte in dem Kreuzgewölbe.
»Das ist der Weinkeller von Domenicus Gutjahr. Wenn Ihr gestattet, gehe ich voraus, bis wir auf der Fleischbänkengasse angelangt sind. Von dort werdet Ihr den Weg ohne meine Hilfe finden. Denkt bitte daran, so schnell wie möglich in die Altstadt zu gelangen. Sollte jemand hier im Kneiphof Eure Magd erkennen, wird Euch beiden niemand mehr helfen können.«
Erneut wartete er ihren Dank nicht ab, sondern eilte voraus, bis sie tatsächlich über eine schmale Treppe die Diele des Hauses von Gutjahr und von dort über den Beischlag die Fleischbänkengasse erreichten. Anders als in der parallel verlaufenden Brotbänkengasse herrschte dort erholsame Ruhe. Eine Handvoll Kinder spielte vor einem Haus, zwei Frauen standen, in ein aufregendes Gespräch vertieft, beieinander. Sonst war weit und breit niemand zu sehen. Rasch verabschiedete sich Dora von Götz Steinhaus und dankte ihm nochmals für seine großzügige Hilfe.
»Wartet mit Eurem Dank lieber, bis Ihr wirklich in Eurem Haus am Mühlenberg eingetroffen seid. Bitte schickt mir von dort eine Nachricht. Es wäre ein großes Unglück für mich, die Gemahlin des herzoglichen Kammerrats in Gefahr gebracht zu haben.«
Dora verkniff sich den Hinweis, dass er sie dann besser höchstpersönlich über die Schmiedebrücke in die Altstadt geleiten sollte. Darauf aber hatte sie selbst keine Lust. Entschlossen nahm sie ihre Feiertagsschaube von den Schultern und hüllte Renata darin ein. Den braunen Pelzkragen hochgeschlagen, erkannte man sie kaum. Ehe Renata aufbegehren konnte, hakte Dora sie unter und marschierte so schnell als möglich mit ihr über die Pregelbrücke zurück in die Altstadt. Erfreulicherweise hörte Renata mit ihrem rätselhaften Gemurmel bald auf und gab sich größte Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Gelegentlich traf sie ein mitfühlender, manches Mal ein erstaunter, selten jedoch ein abschätziger Blick. Niemand aber bereitete ihnen Schwierigkeiten oder stellte sich ihnen in den Weg. Diejenigen, die des Aufruhrs in der letzten Nacht wegen wütend waren, mussten weiterhin sämtlich vor dem Haupteingang des Rathauses in der Brotbänkengasse versammelt sein und auf ihr Auftauchen warten.
»Gott im Himmel, wie seht Ihr aus?« Fassungslos schlug Mathilda die Hände über dem Kopf zusammen, als sie ihnen in der Diele des Hauses am Mühlenberg entgegenkam. »Dieses tollwütige Weib wollt Ihr doch nicht ernsthaft zurück in unser Haus bringen? Sofort lasse ich nach Urban schicken. Er ist der Herr im Haus und wird entscheiden, was mit der
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