Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
für das neue Haus unter den Arm geklemmt. Der Stoff der Schaube schützte die Papierrollen zwar gut vor der Nässe, beim Hinfallen aber würden sie gewiss gnadenlos im Schmutz landen. Das einzig Gute an dem angestrengten Schauen auf den Weg war, dass es Dora daran hinderte, auch nur einen flüchtigen Blick nach Süden zum Kneiphof zu werfen. Der Anblick der verkohlten Brandstümpfe rund um die Domruine hätte ihr die Laune bestimmt noch mehr verdorben. Den Rock mit der freien Hand leicht angehoben, die Augen fest auf das schlammige Straßenpflaster gerichtet, hastete sie, so schnell es unter diesen Umständen möglich war, zur Baustelle in der Junkergasse.
»Eine verrückte Idee, im strömenden Regen mit dem Schnurgerüst zu beginnen«, begrüßte sie Steinmetzmeister Miehlke mit grimmiger Miene. »Aber wenigstens kommt Ihr so einmal auf die Baustelle. Bislang habt Ihr Euch sehr rar gemacht.«
»Bislang wurde auch lediglich der Grund vorbereitet. Was hätte ich dabei tun sollen? Sträucher ausreißen und Bäume fällen? Soweit ich weiß, seid auch Ihr heute zum ersten Mal da.« Dora verzichtete ebenfalls auf Höflichkeiten. Es reichte schon, dass Miehlke das förmliche Ihrzen gewählt hatte. Dabei kannten sie sich seit Kindertagen, war er doch ein langjähriger Freund von Jörg. So ungleich die beiden nach außen wirkten, so dick waren sie bislang miteinander durchs Leben gegangen. Daran hatte auch Jörgs zweijährige Reise in die Fremde nichts geändert. Verstohlen musterte sie Miehlke. Von der Krempe seines breiten Hutes tropfte der Regen, ebenso triefte der knielange Umhang vor Nässe. Dennoch stand er breitbeinig und mit hocherhobenem Haupt da, als machte ihm das nicht das Geringste aus. Er war ein »Baum von einem Mann«, wie der Vater ihn zu beschreiben pflegte, unerschütterlich gegen Sturm, Regen, bröckelnde Steine und sonstige Widrigkeiten, die einem gestandenen Steinmetzmeister drohen mochten. Besonders Jörg gegenüber pflegte Wenzel das gern hervorzuheben, wirkte der neben dem Freund doch geradezu schmächtig. Dabei war er ebenfalls recht breitschultrig gebaut.
Miehlkes dicke rotgeäderte Nase wie sein vorspringendes, schlecht rasiertes Kinn verliehen seinem Antlitz einen groben Zug. Auf den ersten Blick mochte man ihn durchaus älter als Mitte zwanzig schätzen. Das jahrelange Arbeiten auf den Baustellen, egal, ob sommers oder winters, bei Schnee, Regen oder drückender Hitze, hatte eindeutige Spuren hinterlassen. Ebenso bewies ein Blick auf die riesigen Hände mit der aufgerissenen, trockenen Haut, wie eng er auch als Meister seiner Zunft tagtäglich mit Steinen und Mörtel umzugehen pflegte. So ungehobelt sein Auftreten schien, lag andererseits genau darin der Grund, warum Dora ihn mit den Steinmetzarbeiten betraut hatte – er verstand sich einfach aufs beste darauf. In den drei Königsberger Städten wusste sie niemanden, der ihm das Wasser reichen konnte. Das hatte auch Urban bestätigt, der Miehlke beim Umbau des Schlosses bereits einige Male beschäftigt hatte.
»Eigentlich bin ich heute überflüssig. Noch lange ist hier kein Stein für mich zu setzen.« Unwirsch verschränkte Miehlke die Arme vor der Brust und grinste sie frech von oben herab an. »Dafür will ich einfach mal sehen, wie eine Frau wie Ihr uns vorführt, was hier zu tun ist. Zwar seid Ihr schon als kleines Mädchen an der Hand Eures Vaters über die Baugruben geklettert, aber es ist etwas völlig anderes, einer Baustelle vorzustehen. Ich habe zwar nie zuvor gehört, dass eine Frau sich das anmaßt, doch Ihr seid die Gattin des Bauherrn. Noch dazu ist er herzoglicher Kammerrat. Also ist dagegen wohl wenig zu sagen, wenn einem die Arbeit hier lieb ist.« Mit einem Ruck drehte er den Kopf. Dabei löste sich ein besonders großer Regentropfen von seiner breiten Hutkrempe und plumpste auf seine Nasenspitze. Mit einer ärgerlichen Handbewegung wischte er ihn ab. Gegen ihren Willen musste Dora schmunzeln. Das schien Miehlke ein wenig zu besänftigen. »Eins muss man Euch jedenfalls lassen, Euer Entwurf sieht sehr beeindruckend aus.« Er hielt inne, rieb sich das Kinn. Dora verstand, wie viel Mühe es ihn gekostet hatte, das zuzugeben. Gerade wollte sie ihm für das unverhoffte Lob danken, da schob er bereits grimmig hinterher: »Auch wenn er mich stark an einen anderen aus dem Werkmeisterbuch Eures Ahns Laurenz erinnert. Euer Vater hat mich früher öfter darin lesen lassen. Euch ist der Band wohl die liebste Lektüre. Es heißt,
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