Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Wahnsinnigen zu geschehen hat.«
»Das werdet Ihr nicht tun«, entgegnete Dora bedrohlich ruhig.
»Das werden wir doch einmal sehen.« Mathilda stemmte die Hände in die Hüften und reckte das Kinn. »Der ehrwürdige Kammerrat wird wohl kaum dulden, eine Närrin unter seinem eigenen Dach zu beherbergen, die letzte Nacht den halben Kneiphof in Aufruhr versetzt hat. Für solche Fälle gibt es das Tollhaus im Großen Hospital. Wenn Ihr Euch erinnert, meine Liebe, so ist Euer Gemahl einer derjenigen, die sich beim Herzog für die Einrichtung ebendieses Tollhauses im ehemaligen Kloster im Löbenichter Münchenhof starkgemacht haben. Wie stünde es ihm an, darauf zu verzichten, die verwirrte Renata in die Obhut der Schwestern zu bringen? Selbst Euer Vater wird es gutheißen, wenn seine frühere Magd dort unterkommt. Was sollen wir länger mit ihr anfangen? Derzeit leben wir hier im Haus enger beieinander als die Tauben in ihrem Schlag. Renata kann weder im Haushalt helfen noch später wieder den Haushalt Eures Vaters führen. Das ist ihr schon vor dem Tollwerden kaum gelungen. Los, Elßlin«, rief sie nach der jungen Magd, »lauf ins Hospital und frag, wann wir Renata bringen können.« Sie wollte sich umdrehen und wieder nach oben gehen, doch Dora packte sie am Arm. Erbost fuhr sie herum. »Was fällt Euch …« Als sie Doras wild entschlossenes Gesicht sah, verstummte sie auf der Stelle. Böse blitzte Dora sie aus ihren verschiedenfarbigen Augen an.
»Renata bleibt hier. Ihr wisst genau, dass sie weitaus mehr als eine Magd für mich ist. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich sie gebraucht, jetzt braucht sie mich. Also bin ich für sie da. Wenn Euch irgendetwas daran stört, könnt Ihr gern selbst ins Spital gehen. Die frommen Frauen freuen sich gewiss über Eure tatkräftige Hilfe.«
»Wollt Ihr mich etwa aus dem Haus werfen?«
»Das habt Ihr gesagt.«
Gefährlich nah standen sie voreinander, schauten sich tief in die Augen.
»Passt lieber auf, meine Liebe.« Überraschend trat Mathilda als Erste einen Schritt zurück. »Nur weil Ihr Urbans Gemahlin seid, habt Ihr noch lange nicht das Sagen in diesem Haus. Vergesst nicht, ich lebe bereits zehn Jahre länger hier am Mühlenberg als Ihr.«
»Falls er Euch zur tonangebenden Frau im Haus hätte machen wollen, hätte er zehn Jahre lang Zeit dazu gehabt. Da das nicht geschehen ist, solltet Ihr besser nicht vergessen, wer Ihr nach wie vor seid – Urbans Base dritten Grades und seine Wirtschafterin am Mühlenberg. Weder tragt Ihr denselben Namen wie er, noch habt Ihr sonst eine engere Bindung.«
»Seid da mal lieber nicht so sicher.«
Zunächst wollte Dora ihr von neuem über den Mund fahren, etwas in Mathildas Stimme aber hielt sie davon ab. Sowohl der Altersvorsprung als auch die lange Zeit, die die Base bereits vor ihrer Heirat mit Urban allein im Haus gelebt hatte, sprachen für sich. Dora zog die stumm auf dem Boden hockende Magd hoch und trieb sie die Treppe nach oben, schaute nicht einmal auf, als sie Mathilda im Vorbeigehen anrempelte.
Am Absatz zum ersten Geschoss wartete Gret. Sobald Dora auf ihrer Höhe ankam, streckte sie die Hand nach ihr aus und hielt sie fest.
»Pass gut auf«, raunte sie ihr verschwörerisch ins Ohr. »Mit der wirst du noch eine böse Überraschung erleben.«
»Nur ich?«, war alles, was Dora sich dazu entlocken ließ. Grets ratlosen Blick meinte sie noch bis ins zweite Geschoss hinauf in ihrem Rücken zu spüren.
Erster Teil
(3)
Königsberg
Frühjahr 1544
17
D er Regen war unangenehm. Dabei war er nicht einmal sonderlich kräftig, fiel aber seit Stunden in der immer gleichen Stärke. Zudem war es empfindlich kühl geworden, was wieder einmal an dem kräftigen Ostwind lag. Über die flache Ebene vor dem Löbenicht fegte er unerbittlich in die drei Königsberger Städte hinein. Die lange Trockenzeit hatte den Boden stark verkrustet. Das Wasser konnte nicht in der Erde versickern, sondern musste gleich ablaufen. Schon nach wenigen Stunden ergossen sich unzählige hellbraune Sturzbäche den Mühlenberg hinunter. Vermischt mit dem Staub der letzten Wochen, hatte sich auf dem Pflaster eine schmierige Schicht gebildet, die das Gehen mit den Trippen in eine halsbrecherische Schlingerpartie verwandelte. Dora fühlte sich wie ein Storch, als sie vorwärtsstakste, sorgfältig darauf bedacht, einen Schritt nach dem anderen zu setzen. Sollte sie ausrutschen und hinschlagen, wäre das äußerst fatal. Sie hatte sich die kostbaren Entwürfe
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