Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
als die arme Frau im Kerker gefangen zu setzen und von den Ihren abzuschotten wie eine böse Übeltäterin, statt die wahren Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen.
»Wo ist sie jetzt? Führt mich bitte zu ihr«, verlangte sie mit fester Stimme und erhob sich. In wenigen Schritten stand sie wieder an der Tür. Flüchtig glitt ihr Blick durch den Raum, in dessen Mitte ein Tisch mit zehn Stühlen für die kleine Versammlung bereitstand. An der Stirnseite hing ein Gemälde von Herzog Albrecht in schmuckem Staatsgewand, das vor vier Jahren erst von einem Nürnberger Maler angefertigt worden war. Streng schaute der Herrscher auf das Geschehen herab. Eine Landkarte an der Längsseite zeigte die beeindruckende Größe seines Preußenlandes. In dem daneben befindlichen fest verschlossenen Schrank wusste Dora die dreizehn mit schwarzem Wachs überzogenen Holztafeln, auf denen die Namen derjenigen verzeichnet waren, die seit 1400 das Bürgerrecht im Kneiphof erlangt hatten. Seit Urahn Laurenz Selege fand sich darunter jeder männliche Spross ihrer Familie, versehen mit dem stolzen Zusatz »Vielgerühmter Baumeister allhier«. Es gab also keinerlei Grund, sich vor Steinhaus oder sonst wem aus dem Rat der toll gewordenen Magd wegen rechtfertigen zu müssen. Wenn ihr Vater und Vatersvater und dessen Vater auch kein Ratsherr gewesen waren, so besaßen die Seleges dennoch die gleichen Rechte wie auch die Steinhaus’ und all die anderen Bürger des Kneiphofs. Das galt ebenso für ihr Gesinde, solang es sich keines nachweisbaren Verbrechens schuldig gemacht hatte. Und das hatte sich Renata letzte Nacht ganz sicher nicht.
Viel zu langsam drehte sich der Kaufmann zu ihr um, sah sie matt an. »Ihr wollt mir doch nicht etwa sagen, Ihr seid gekommen, um sie mit Euch nach Hause zu holen? Ihr allein? Und niemand sonst, der Euch durch die wütende Meute da draußen begleiten wird?«
»Was sollte ich sonst hier wollen außer sie abholen?«, überging sie geflissentlich die Warnung, die sich in seiner letzten Frage verbarg. Angst vor der Wut der Kneiphofer hatte sie auch so schon genug. »Da sie niemandem ernsthaft Schaden zugefügt hat, gibt es keinerlei Grund, sie länger im Kerker festzuhalten. Die Ärmste ist von Sinnen, wie Ihr selbst bereits mehrfach gesagt habt und wie ihr Verhalten beweist. Sie muss nach Hause gebracht und von den Menschen versorgt werden, die ihr seit langem nahestehen. Also führt mich zu ihr, damit sie endlich erfährt, dass wir uns um sie kümmern. Wer weiß, was sonst noch mit ihr geschieht.«
»Ihr seid eine sehr mutige Frau.« Steinhaus baute sich so dicht vor ihr auf, dass sie seinen Atem auf den Wangen spürte, den bitteren Geruch darin deutlich wahrnahm. »Trotzdem wage ich zu bezweifeln, dass es Euch gelingen wird, zusammen mit Eurer Magd weiter als bis zur obersten Treppenstufe vor dem Rathaus zu gelangen. Das heilige Osterfest werdet Ihr kaum mehr erleben, die Freude über die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus leider nicht mehr mit uns teilen. Während sich die rasende Menge auf Euch stürzt, wird Euch von den beiden Türmen des Rathauses die Totenglocke läuten.« Wie zur Bekräftigung schwoll im selben Moment der Lärm draußen noch stärker an. Steinhaus gab sich einen Ruck. »Wie Ihr wollt«, lenkte er ein und eilte ebenfalls zur Tür. Ein entsetzliches Krachen ließ ihn auf halbem Weg innehalten. Glas klirrte, eine der Scheiben zerplatzte. Ein Scherbengewitter prasselte zu Boden. »Achtung!« Unwillkürlich duckte er sich zur Seite, Dora presste sich gegen die Wand. Auf dem Boden zwischen ihnen schlug ein faustgroßer Stein ein. Von dem Aufprall zerbarsten die Fliesen. In Windeseile zog sich ein spinnenartiges Netz von Rissen darüber.
Das Gejohle vor dem Fenster wurde noch lauter. »Wo ist die Hexe?« – »Bringt sie raus!« – »Wir wissen, was mit ihr zu tun ist.« – »Brennen soll sie!« – »Auf den Scheiterhaufen mit ihr!« Die nächsten Forderungen gingen in lautem Beifall unter.
»Schnell fort von hier!« Ehe sie sichs versah, packte Steinhaus sie am Arm und zog sie nach draußen. Im ersten Schreck fürchtete sie, er wollte tatsächlich der Forderung der grölenden Menge Genüge tun und sie vor die Tür setzen. Dann aber hastete er durch den dämmrigen Flur in den hinteren Teil des Rathauses. Vor einer unscheinbaren Tür kurz vor Ende des Ganges hielt er an. »Sie wollen nicht Euch, sondern Eure Magd. Bringt sie weg und sorgt dafür, dass sie so schnell nicht wieder in
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