Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
mit Sprüchen hängenblieb, die Gret bestens vertraut war. Wie ein Wunder hatten die getrockneten Stengel der Schafgarbe den Brand überstanden.
»Mir scheint, das Buch birgt mehr als ein wundervolles Vergnügen. Allein die edlen Ritter und tapferen Drachentöter lassen das Herz höherschlagen. Wie rührend aber klingen erst die Reime der zarten Minnelieder sowie die zahlreichen Anweisungen, wie zwei liebende Herzen zueinanderfinden.« Langsam drehte sich die Herzogin zu Gret um. »Das Buch ist ein wahrer Schatz. Ich glaube kaum, dass Ihr es Polyphemus für die herzogliche Bibliothek verkaufen wollt. Es sollte Euch Euer Leben lang begleiten, birgt es doch für jede Lebenslage Erbauliches und mitunter auch Tröstliches.«
»Ich wollte es auch nicht verkaufen. Dazu ist es für meine Familie zu wertvoll. Ich wollte lediglich Polyphemus’ Rat hören, aus wessen Feder die Texte wohl stammen.«
»Wer ist Eure Familie?«
»Das, Euer Hoheit, versuche ich auch seit einiger Zeit herauszufinden.«
Wie aus dem Nichts tauchte der Bibliothekar aus einer Seitentür auf. Mit einer galanten Verbeugung erwies er der Herzogin seine Reverenz, bevor er sich mit einem Schmunzeln an Gret wandte. »Wie schön, Euch wiederzusehen. Noch schöner, dass Ihr den Weg in die bescheidene Nähschule meiner geliebten Gemahlin gefunden habt. Ich hoffe, Ihr bringt mir dieses Buch, damit ich endlich mehr über Eure Familie erfahre. Ihr müsst nämlich wissen«, erklärte er halb über die Schulter zur Herzogin, »die junge Schwägerin unseres Kammerrats stammt aus Nürnberg. Der Gastwirt Wurfbein beim Frauentor ist ihr Oheim. Mehr aber hat sie mir leider noch nicht verraten.«
»Dann seid Ihr also die Schwägerin von Urban Stöckel und die Gemahlin des jungen Baumeisters Selege aus dem Kneiphof.« Nachdenklich legte Dorothea den Zeigefinger über die Lippen, betrachtete Gret von neuem. Der Zwerg sprang vom Stuhl und äffte ihre Haltung nach. Dorothea kam näher, zupfte eine Strähne von Grets honiggelbem Haar und zwirbelte es um ihren schlanken Finger. Nachdenklich legte sie den Kopf schief. »Welch seltsamer Zufall. Wie Ihr wisst, ist Urban Stöckel ein langjähriger Gefährte meines Gemahls und stammt ebenfalls aus Franken. Seite an Seite haben die beiden noch als Kreuzherren für den Orden gekämpft und sich oft in Ansbach und Nürnberg aufgehalten. Immer wieder höre ich sie davon erzählen. Das Gasthaus der Familie Wurfbein beim Frauentor und insbesondere ihr gutes Bier spielen dabei eine große Rolle, ebenso die schöne Tochter des Hauses, die seinerzeit wohl so manches männliche Herz hat höherschlagen lassen. Mein lieber Gemahl hat sich mehr als einmal einen Scherz daraus gemacht, den guten Stöckel mit seiner Schwärmerei für die junge Frau aufzuziehen. Bernsteinfarbenes Haar soll sie gehabt haben, ähnlich dem Euren, gute Frau, weshalb der Kammerrat selten einen Bernstein ansehen kann, ohne in Wehmut zu verfallen.« Sie hielt inne, schürzte die Lippen, besann sich einen Moment, bevor sie zu dem Buch mit den Minneliedern zurückging und abermals zärtlich darüberstrich. »Was die unerfüllte Liebe aus so manchem Manne macht! Die einen regt sie zu holden Dichtungen an, die anderen verzehren sich zeit ihres Lebens nach der Erfüllung ihrer geheimsten Wünsche. Ihr müsst wissen«, drehte sie sich Gret wieder zu, »Stöckel hat sich über Jahre hinweg jedweder neuen Liebe verschlossen. Erst die Begegnung mit der Tochter von Baumeister Wenzel Selege hat ihn aus der Starre erlöst und ihm wenigstens in späten Jahren noch die Freuden der trauten Zweisamkeit beschert. Einmal hat er angedeutet, sie erinnere ihn an seine lang vergangene Jugend. Wahrscheinlich auch an jene verlorene Liebe. Eine kluge Frau übrigens, Eure Schwägerin.« Von neuem sah sie Gret sinnierend an. »Wenn ich Euch so vor mir sehe, erscheint Ihr mir wie eine Schwester der Stöckelin. Was meint Ihr dazu, meine liebe Katharina? Ihr kennt sie doch auch.«
Polyphemus’ Frau folgte der Aufforderung und trat ebenfalls einen Schritt auf sie zu, musterte sie wieder gründlich. Auch der Zwerg ahmte die Geste auf seine Weise nach. Nur der Bibliothekar hielt sich zurück, dabei musste ihm Dora ebenfalls gut bekannt sein. Gret fühlte sich unbehaglich.
»Der einzige Unterschied zwischen Euch und der jungen Stöckelin ist Euer honiggelbes Haar«, stellte die Herzogin schließlich bestimmt fest. »Oder sollte ich nicht besser sagen, Euer bernsteingoldenes Haar? Welch seltsamer
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