Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Ihr mir mehr von Eurer fränkischen Heimat erzählt. Auch mein Gemahl wird sich freuen, Euch vom guten alten Nürnberg berichten zu hören. Gelegentlich plagt ihn Heimweh. Bestimmt könnt Ihr ihn wenigstens für heute darüber hinwegtrösten.«
Zielstrebig führte sie sie aus dem Raum zurück in den engen Gang, den sie vorhin unter großem Herzklopfen mit Löwener entlanggelaufen war. An der Seite der Herzogin musste sie jedoch keinerlei Gefahr mehr fürchten.
Wohlgemut reckte sie den Kopf. Ein mildes Lächeln huschte über Dorotheas ebenmäßiges Gesicht. Es war Gret, als entginge der hohen Dame kein einziger Lufthauch, der in ihrer nächsten Umgebung getan wurde. So erreichten sie das Treppenhaus, stiegen die ausgetretenen Stufen in das erste Geschoss hinunter und passierten die doppelflügelige Tür. Dahinter tat sich für Gret eine völlig neue Welt auf. Wie schon bei ihrem Eintritt in den Hof wunderte sie sich auch jetzt wieder, wie einfach es war, in Königsberg binnen kürzester Zeit zu den höchsten Stellen und in die geheimsten Gemächer vorzudringen. Möglicherweise, so sagte sie sich, war zwar nichts dran an den Andeutungen der Herzogin über Urban und seine unerfüllte Jugendliebe im Nürnberger Gasthaus von Oheim Wolf Wurfbein. Woran aber ganz sicher etwas dran war, war, dass sie, die unerwünschte Verwandte aus jenem besagten Wirtshaus am Frauentor, gerade im Begriff war, sich dank der Heirat mit dem unbegabten Baumeister Jörg Selege den Weg zu einem ganz neuen, höfischen Dasein zu erschließen.
20
D ora fühlte sich wie eine Gefangene. Wahrscheinlich lag das ganz in Urbans Absicht, als er sie mit auf die Inspektionsreise genommen hatte. Wie so oft in den letzten Tagen beschlich sie im Unterleib ein eigenartiges Gefühl. Gleich presste sie die Hand darauf, schloss kurz die Augen. Erleichtert stellte sie fest, dass ihr zumindest die Erinnerung an Veits Angesicht erspart blieb. Nie mehr wollte sie an ihn und jenen seltsamen Traum denken. Er brachte ihr nur Unglück. Urban war ihr Mann. Ihn musste sie lieben. Das war kein Traum, das war die Wirklichkeit. Sofort nach ihrer Rückkehr würde sie Veit bitten, aus ihrem Haus, am besten ganz aus Königsberg und damit aus ihrem Leben zu verschwinden. Seltsam, dass Urban das noch nicht veranlasst hatte. Sie atmete tief durch, öffnete die Augen wieder und schaute zum Fenster hinaus.
Den zweiten Tag saßen Urban und sie nun schon in Tapiau fest. Dabei hatten sie nur für eine Nacht bleiben wollen. Seit ihrer Ankunft regnete es unaufhörlich. Der Weg pregelaufwärts war unpassierbar, die Ufer teilweise überflutet. Ein eisiger Ostwind peitschte über das Land, trieb schwarze Wolken über den Himmel, jagte Regenschauer vor sich her. Das trübte die Tage ein. Die abendliche Dämmerung nahte, ohne dass es überhaupt einmal richtig hell geworden war. Verloren kauerte Dora in der Fensternische und starrte durch die winzigen Glasscheiben nach draußen. Außer dem von dichtem Grau verschleierten Firmament und braunen Äckern gab es wenig zu sehen. Unterhalb der Burg floss träge die Deime. Ihr regenschlammbraunes Band suchte sich in aufwendigen Windungen seinen Weg bis zum Pregel. Die Mündung lag unweit des Südflügels der Burg, so dass die trutzige Anlage an der westlichen Seite von der Deime, an der südlichen vom Pregel umgrenzt wurde und nur nach Nordosten hin mit eigenen Wällen ins Land ragte. Einige Fischer standen knietief im Wasser und warfen die Angelruten aus, andere versuchten mit Reusen und Netzen ihr Glück. Ein Bauer mit einem Karren voller Fässer kämpfte sich durch den Morast, überquerte die hölzerne Brücke, die vom östlichen auf das westliche Deimeufer hinüberführte. Auf einem kleinen Hügel einige Ruten abseits des Ufers erstreckte sich die eigentliche Lischke, die ihren Namen von der früheren Ordensburg ableitete.
Voller Sehnsucht verfolgte Dora den Weg des Mannes. Aufgeregt kläffend umsprang ein heller Hund seine Beine. Ein Rabe zog dicht über seinem Kopf seine Bahn, bevor er sich auf einem der Fässer niederließ und auf dem Karren mitfuhr. Der Bauer ließ sich nicht beirren, stemmte das schwerbeladene Gefährt mit kräftigen Armen hügelaufwärts, um so schnell wie möglich dem strömenden Regen zu entfliehen. Gebannt sah Dora ihm nach. Was gäbe sie darum, die ehemalige Ordensburg verlassen und ebenso wie dieser Bauersmann in den kleinen Ort hinüberlaufen zu dürfen.
Um eine rote, erst vor wenigen Jahrzehnten errichtete
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