Die Liebe des Kartographen: Roman
und kümmerte sich um Alois, dessen strähnige Mähne sie zu entwirren versuchte. Philip beugte sich tief über eine Karte, als würde er die Antwort auf all ihre Fragen darauf finden. Gequält wandte Adalbert seinen Blick ab. Von ihnen konnte er keine Hilfe erwarten, seine Entscheidung musste er ganz allein treffen.
Seinen Plan auf Rache musste er vergessen, wenn er Xelia helfen wollte. Wilhelm Pfeiffer würde ungeschoren davonkommen. Adalbert fragte sich, ob er damit würde leben können. Dagegen stand, dass Xelia für ihn ihr Leben riskiert hatte. Wenn er sie nun im Stich lieÃ, würde er sich dafür ebenso ein Leben lang verabscheuen.
Alois prustete laut auf und schleuderte dabei seinen Rotz ellenweit durch die Scheune. »Du Mistgaul!«, tadelte Xelia ihn, doch ihren Worten fehlte die Strenge. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, kurz und fast unmerklich. Dann war es wieder verschwunden. Aber es reichte aus, um in Adalbert etwas anzurühren, das feiner war als dieSaite einer Laute. Wie kannst du auch nur einen Augenblick lang zaudern? , hörte er die eine Stimme wieder. Anklagend, fordernd. Es summte in seinen Ohren. Er schaute zu den beiden anderen hinüber, doch weder Xelia noch Philip schienen etwas gehört zu haben.
Adalbert zwang sich, tief Luft zu holen. Würde er mit seiner Rache, die es am Stadtarzt auszuüben galt, glücklich werden, wenn er dafür Xelia im Stich lieÃ? Diese Frage war einfach zu beantworten. Er durfte nicht vorbeischauen an dieser unglaublichen Möglichkeit, die ihm das Schicksal bot â an Xelia das gutzumachen, was er an einer anderen Frau versäumt hatte. Damals, in seinem anderen Leben.
Adalbert lachte befreit auf. Er blickte hoch, und in seinen Augen stand nichts auÃer reiner Zuversicht. Diesmal würde er nicht so lange zögern, bis seine Hilfe zu spät kam! Unter Philips misstrauischem Blick nahm er Xelias Hand.
»Es gibt einen Weg, der uns in die Sicherheit führt.«
~ 46 ~
S eit Wochen hatte Philip sich nicht mehr so leichtherzig gefühlt.
Zügig schritt er aus, Alois am Zügel neben sich. Er genoss das knirschende Geräusch, das seine Schritte auf dem festgetretenen Schnee machten. So schmal der Weg auch war, so gut passierbar war er dennoch, zumindest, was die Bodenqualität anging. Bei jedem entgegenkommenden Fuhrwerk mussten sie allerdings mühevoll auf die seitlich aufgetürmten Schneeberge ausweichen. Philip wunderte sich, wie stark diese Route frequentiert wurde. Er nahm sich vor, später, wenn er an diesem Teil seiner Karte angelangt war, ein entsprechendes Symbol â ein hoch beladenes Fuhrwerk zum Beispiel â einzuzeichnen. Dass so viele Reisende diese Strecke nahmen, lag wohl daran, dass hier kein einziger StraÃen- oder Brückenzoll erhoben wurde. Für Philip war allerdings ein anderer Umstand ausschlaggebend gewesen: Auf diesem schmalen Weg, der auf kaum einer Karte eingezeichnet war, wollte niemand einen Passierschein sehen, den weder Xelia noch Adalbert hätten vorweisen können. Scheinbar waren sie nicht die Einzigen, denen es so erging â¦
Nach der stickigen Enge der Scheune genoss Philip die kalte, klare Luft, in der vereinzelte eisige Kristalle schwebten. Xelia und Adalbert liefen ungefähr zwei Pferdelängen vor ihm. So war es für sie einfacher, um Wegbiegungen zu gucken und ihn rechtzeitig vor Gegenverkehr zu warnen. Lola rannte immer wieder zwischen den beiden und ihm hin und her. Ihr Atem lieà kleine weiÃe Wölkchen in der Luft stehen. Es war kalt, aber auf eine trockene, erträgliche Art. Philip rechnete kurz nach â es musste inzwischen Anfang Dezember sein. Mit weniger Glück hätten sie sichinmitten eines Schneesturmes wieder finden können, oder eisiger Regen, vermischt mit pappigem Schnee, hätte ihnen das Reisen schwer gemacht. So gesehen hatten sie ideales Reisewetter erwischt. Aber noch war nicht aller Tage Abend, versuchte er, seinen Optimismus zu dämpfen.
Immer wieder flogen Wortfetzen von Xelia und Adalbert zu ihm nach hinten, doch er hatte kein Bedürfnis, sich in deren Gespräch einzumischen. Er genoss einfach die Bewegung, das Geradeausschreiten. Ohne Xelia wäre er heute vielleicht ein Krüppel, angewiesen auf einen Gehstock und die Pferdekutsche. Doch dank ihrer Heilkräfte war sein Bein so gut wie neu, kein Schaden, nicht die kleinste Schwäche war
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