Die Liebe des Kartographen: Roman
gekommen waren. Sterzing war nicht mehr zu sehen, was jedoch nur an derTatsache lag, dass es durch einen Berg verborgen wurde. Sie befanden sich erst beim Anstieg zum Jaufenpass, der eigentliche Pass lag noch vor ihnen, doch wie lange es bis dahin dauern würde, wusste Philip nicht.
Er schaute sich um. Die beiden anderen waren ein gutes Stück zurückgefallen, und obwohl keiner einen Ton sagte, erkannte Philip, dass sowohl Xelia als auch Adalbert Mühe mit dem Marsch hatten. Es war Zeit für eine Rast, auch wenn sie durch das Schneetreiben schon genug Zeit verloren hatten.
Sie türmten Schnee zu einer Art Bank zusammen und legten eine von Philips Decken darüber. In der Sonne war es fast warm, und so zogen sie ihre Jacken und Mäntel aus, während sie ihr mitgebrachtes Wasser tranken und von dem Fladenbrot aÃen.
»Erzähl doch ein bisschen von deinem Bruder«, forderte Xelia Adalbert auf.
»Ich dachte schon, du fragst mich gar nicht danach!« Adalbert grinste. »Ich kannâs kaum erwarten, Michael wiederzusehen! Mehr als zehn Jahre istâs nun her, dass wir uns verabschiedet haben. Wir haben uns zwar so regelmäÃig wie möglich geschrieben, aber dass ich ihn nochmals besuchen würde, daran habe ich eigentlich nicht mehr geglaubt«, meinte er.
»Und jetzt dauertâs nicht mehr lange«, sagte Xelia.
»Ich wusste bis vor kurzem gar nicht, dass du einen Bruder hast. Soweit ich mich erinnere, hast du ihn in Tübingen nie erwähnt«, bemerkte Philip zwischen zwei Bissen.
»Dir gegenüber vielleicht nicht! Du hattest deine Nase ja ausschlieÃlich in kartographischen Werken vergraben! Den anderen Studenten war Michaels Name zumindest vom Hörensagen her ein Begriff. Er hat sich nämlich auf dem Gebiet der Heilkunde einen ordentlichen Ruf erarbeitet. Und nicht nur die Universitätsklinik in Tübingen sah ihn mit groÃem Bedauern Richtung Süden ziehen.«
»Und was war sein Fachgebiet?«, hakte Philip nach.
»Immer müsst ihr über eure Wissenschaften reden!« Xelia verdrehte die Augen. »Was für ein Mensch ist er? Und wie kam er nach Tirol? Das interessiert mich!«
»Was einer tut und arbeitet, sagt oft sehr viel über ihn als Mensch aus. Wieso hörst du dir deshalb nicht erst einmal an, was Adalbert über die Arbeit seines Bruders zu erzählen hat?«, widersprach Philip. Der Tadel in seinen Worten war nicht zu überhören.
Xelia öffnete den Mund zur Erwiderung, doch Adalbert kam ihr zuvor: »Da hast du ausnahmsweise ein wahres Wort gesprochen! Michael ist wirklich mit Leib und Seele Arzt. Er hat sich auf die Heilkunde bei Kindern spezialisiert. Schon während seiner Ausbildung war ihm aufgefallen, dass es Krankheiten gibt, die vor allem Kinder bekommen. Er führte Untersuchungen durch und schrieb alle Beobachtungen darüber auf. Sehr bald sah er seine Vermutung bestätigt: In der Tat gibt es Krankheiten, die nur Kinder eines bestimmten Alters befallen.«
» Kinder krankheiten?«, fragte Philip entgeistert nach. Die Familie Hyronimus hatte scheinbar nicht nur einen komischen Kauz mit messerscharfem Verstand hervorgebracht!
Adalbert verzog den Mund. »So ähnlich wie du reagierte damals die gesamte Tübinger Ãrzteschaft. Wen interessieren schon Kinder? Als Michael von oberster Stelle die Anweisung bekam, weniger Zeit mit seinen Untersuchungen zu verbringen, zog er die Konsequenz: Er bat um seine Entlassung aus dem herzöglichen Dienst, welche ungern, aber schlieÃlich doch genehmigt wurde. Ein paar Taler hatte er auch gespart, und so stand seinem Fortgang nichts im Weg.«
»Und wie kam er dann nach Meran?« Xelia hatte gespannt zugehört.
»Das war wohl mehr Zufall als Planung.« Adalbert lachte. »Zuerst hielt er sich über ein Jahr lang in München auf, um dort zusammen mit einem Kollegen an einer Abhandlung über den seiner Ansicht nach viel zu häufigen Tod von Neugeborenen zu schreiben. Währenddessen traf er einen Pfarrer aus Sankt Leonard â dem Dorf, das nach dem Jaufenpass kommt â, der auf der Suche war nach einem Wandmaler für seine Kirche. Die beiden kamen ins Gespräch, wobei sich der Pfarrer sehr wohl wollend über das milde Klima und den Wohlstand Merans auslieÃ. Als der Kirchenmann dann zurückging â übrigens ohne Maler, den sollte er erst ein Jahr später auf einer Reise nach Italien
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