Die Liebe des Kartographen: Roman
vorschlagen, dass wir hier übernachten und morgen in aller Frühe losgehen. An einem Tag ist die Strecke von hier bis nach Sankt Leonard sowieso nicht zu schaffen, das heiÃt, wir müssen mindestens noch einmal irgendwo übernachten.«
Xelia und Adalbert nickten. Beide stieÃen einen Seufzer der Erleichterung aus. Nachdem sie wegen Jaques nun nicht mehr jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legen mussten, hatte ihre innere Anspannung stark nachgelassen. Die Euphorie, in so kurzer Zeit so weit gekommen zu sein, wich langsam wie dünn werdende Nebelschwaden einer groÃen Müdigkeit. Jeder Knochen tat weh. Ihre Lider waren schwer, ihre Zunge faul. Keinem war nach Streit zumute oder nach ausführlichen Erörterungen über den besten Weg. Das ungewohnt reichhaltige warme Essen hatte ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen, dass sie nur noch eins wollten: schlafen.
~ 52 ~
A m nächsten Morgen hatten sie Mühe, sich unter ihren Decken hervorzuschälen. Die Kammer war warm, und die Strohmatratzen dufteten nach Spätsommer, so dass Xelia ihr Gesicht tief darin vergrub. Angesichts der vielen Gasthöfe in der Stadt bemühte sich jeder einzelne Wirt um die Reisenden, die bei ihm übernachteten, statt ihnen das Gefühl zu vermitteln, sie seien nur eine lästige Qual. Und so hatte ihr Wirt ihnen eine eigene Kammer gegeben, dazu zwei Ãllampen â von denen sie eine hatten brennen lassen â und für jeden eine Kanne Wein. Falls sie noch eine Decke wünschten, bräuchten sie nur danach zu fragen, hatte er auÃerdem gemeint. So viel Gastfreundschaft war ihnen lange nicht mehr begegnet.
Nun, da Jaques weg war, übernahm Philip die Rolle des Schinders und rüttelte Xelia und Adalbert unsanft wach. Der Hund, den Xelia unter ihrem Mantel in die Kammer geschmuggelt hatte, hatte neben ihrem Bett eine Pfütze hinterlassen, stellte er ärgerlich fest. Der säuerliche Geruch ekelte ihn. Seiner Meinung nach machte Xelia viel zu viel Gehabe um das Vieh. Wenn es nach Philip gegangen wäre, hätten sie den Hund längst irgendwo zurückgelassen. Doch da ihr Herz so sehr an Lola zu hängen schien, behielt er seine Meinung für sich.
Nach dem Morgenmahl â das aus heiÃem Getreidebrei bestand, über den die Wirtin groÃzügig Honig gegossen hatte â kauften sie noch Proviant ein. Die Summe, welche die Frau für die Speckstreifen und das Fladenbrot von ihnen verlangte, erschien selbst Philip, der sich nicht sonderlich gut mit Preisen auskannte, als horrend hoch und nicht damit zu rechtfertigen, dass im Winter nun einmal alles teurer war. Wahrscheinlich gingen die SterzingerKaufleute davon aus, dass jeder hier in der Stadt im Geld schwamm!
Während Xelia und Adalbert drauÃen warteten, erkundigte Philip sich beim Wirt ein letztes Mal nach dem vor ihnen liegenden Jaufenpass, doch viel Neues erfuhr er dabei nicht. Der Pass sei in den letzten Wochen in beide Richtungen begehbar gewesen, doch könne sich über Nacht im Gebirge viel ändern. Philip schulterte seine Tasche. So schlau war er auch!
Sie waren zwei Stunden unterwegs, als es zu schneien anfing. Zuerst waren es nur vereinzelte Flocken, doch bald war das Schneegestöber so dicht, dass sie Mühe hatten, den Weg zu erkennen. Nur langsam kamen sie voran, immer wieder blieb Philip stehen, um sich neu zu orientieren. Würden sie den falschen Weg einschlagen, wären sie verloren. Von Xelia und Adalbert war ausnahmsweise einmal kein Geplapper zu hören. Beide hatten Mühe, über den schwerer gewordenen Boden zu stapfen.
Philip hatte sich fast schon dazu durchgerungen, wieder nach Sterzing umzukehren, als es genauso plötzlich aufhörte zu schneien, wie es angefangen hatte. Kurz darauf hob sich die tiefliegende weiÃe Decke, in der die Gipfel der Berge eingehüllt gewesen waren. Und noch etwas später schien sogar die Sonne. Es war so gleiÃend hell, dass sie mit beiden Händen ihre Augen abschirmen mussten. Trotzdem liefen ihnen Tränenbäche über die Wangen.
Philip blieb stehen und wischte sich die SchweiÃperlen von der Stirn. Im Gebirge war wirklich von einer Stunde auf die nächste mit allem zu rechnen, was das Wetter anging!
Er lieà seinen Blick kreisen, doch in der Helligkeit verschwammen Konturen, Höhen und Tiefen zu einer einzigen weiÃen Unendlichkeit. Er konnte beim besten Willen nicht abschätzen, wie weit sie
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