Die Liebe des Kartographen: Roman
finden â, schloss sich Michael ihm an. Und seinen Briefen nach hat er es nicht bereut.«
»Dann gilt also nicht nur das Sprichwort: Alle Wege führen nach Rom , sondern auch: Alle Wege führen nach Meran!«
Xelia hatte diese Redensart zwar noch nie gehört, trotzdem stimmte sie mit Adalbert in Philips Lachen ein. Zum ersten Mal seit vielen Tagen fühlte sie sich leicht ums Herz. »Und wie kam er schlieÃlich zu seinem Spital?«
»Eine der wenigen noch ansässigen Fürstenfamilien â die meisten Adligen sind vor etlichen Jahren nach Bozen oder Innsbruck gezogen â half ihm dabei.« Adalbert schüttelte den Kopf. »Wenn ichâs mir recht überlege, ist Mi chaels Leben eigentlich eine einzige Aneinanderreihung von Zufällen! Der älteste Sohn jener besagten Adelsfamilie wurde nämlich just zu dem Zeitpunkt von seinem Falken angegriffen, als Michael sich als Arzt in Meran niedergelassen hatte. Der Vogel hatte sein rechtes Auge attackiert und auÃerdem ein so tiefes Loch in den Schädel des Jungen gehackt, dass der Knochen hervorguckte. Michael war beim Anblick der Wunden selbst erschrocken, hat er mir geschrieben. Ohnmächtig und halb tot sei das Kind gewesen. Keiner habe damit gerechnet, dass er das Augenlicht des rechten Auges würde retten können, und doch hat Michael dieses Wunder vollbracht. Als Dank dafür schenkte die Gräfin ihm ein kleines Haus und auch den Grund, auf dem es stand. Nach und nach baute Michael weitere Kammern an, und so kam eins zum andern. Und heute kommen reiche Familien von weit her, um ihren Kindern von Michael helfen zu lassen. Ob eines unter die Räder einer Kutsche kommt oder ins Wasser des Fischweihers fällt, ob das Neugeborene Husten hat oder sich gelb verfärbt â Michael ist ein begnadeter Arzt und ist sich nicht zu schade für die Kleinsten. So ist er nicht nur berühmt, sondern auch reich geworden. Ãbrigens«, er wandte sich an Xelia, »er wird äuÃerst neugierig sein, darüber zu hören, wie du bei der Zweilingsgeburt vorgegangen bist.«
Philip nickte anerkennend. Zumindest der Jüngere der Hyronimus-Brüder schien etwas Geschäftssinn zu haben.
Als könne Adalbert Gedanken lesen, fügte er noch hinzu: »Die kranken Kinder der armen Leute behandelt er natürlich umsonst«, woraufhin sich Xelias Gesicht zu einem breiten Grinsen verzog und Philip nichts antwortete.
Er stand auf und streckte sich. »Es wird Zeit«, meinte er mit einem Blick auf die Sonne, die gerade eilig hinter einer neuen Wolke verschwand. Sofort wurde es wieder fröstelig kalt. »Ich würde vorschlagen, dass wir mindestens noch diesen Berg dort hinter uns bringen.« Er zeigte nach vorn. »Dahinter kann es zum Jaufenpass nicht mehr weit sein. Sobald wir dort eine geschützte Stelle finden, schlagen wir unser Nachtlager auf. Und morgen gehtâs nach Sankt Leonard!« Wenn es nur schon so weit wäre, fügte er im Stillen hinzu.
»Der Berg scheint nicht sonderlich hoch zu sein«, meinte Adalbert.
»Ist er auch nicht. Trotzdem werden wir den Rest des Tages dazu brauchen, ihn zu bewältigen. Wir werden ihn nämlich umgehen.« Philip wies nach links, wo ein schmaler Riss die Bergkette zu entzweien schien.
»So weit willst du gehen â warum denn das? Der direkte Weg wäre doch der kürzeste. Die Steigung ist doch völlig harmlos!«
Philip lachte kurz auf. »Das ist ja das Trügerische daran! Ich trauâ dem Hang nicht.«
Als alle drei ihr Gepäck geschultert hatten, marschierten sie los. »Der Berg ist mir zu glatt. Nirgendwo guckt ein Felsen heraus, keine Bäume sind zu sehen, alles ist eine einzige weiÃe Fläche.« Philips Blick war skeptisch.
»Du meinst, es besteht die Gefahr, dass Schneemassen herunterkommen?« Nun wurde auch Adalberts Blick besorgt.
Philip nickte. »Ich kennâ mich nicht sonderlich gut aus mit so etwas, das gebe ich ehrlich zu. Aber mir sagt der gesunde Menschenverstand, dass eine hier abgehende Schneemasse nirgendwo Halt fände und uns für immer begraben würde.«
Schweigend stapften sie weiter, Stunde um Stunde, den Berg rechts liegen lassend. Alle paar Schritte blieb Philip stehen und stocherte mit seinem Gehstock im Boden herum. »Wir müssen aufpassen«, sagte er immer wieder. »Der Schnee ist alt und schwer. Wir kennen den Weg nicht und wissen nicht,
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