Die Liebe des Kartographen: Roman
wieder aufgerappelt und versuchte, aus eigener Kraft die mannshohe Böschung hinaufzugelangen. Er sah nicht verwundet aus, nur verdutzt.
»Was ist, hast du dich verletzt?«, rief Xelia ihm von weiter hinten aus zu.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte nun auch Philip. Er war immer noch schockiert. Nichts, aber auch gar nichts hatte unter der Schneedecke darauf hingewiesen, dass der Weg seitlich von einem tiefen Graben begrenzt wurde! Alter, brüchiger Schnee hatte die Rinne bis oben hin gefüllt, und Löcher und Spalten hatten sich da gebildet, wo unter Sonneneinstrahlung der Schnee geschmolzen war. Der Neuschnee des vergangenen Tages hatte schlieÃlich alles mit seiner jungfräulichen Decke eingehüllt.
»Ob alles in Ordnung ist, sage ich euch, sobald ich hier drauÃen bin.« Adalbert warf sein Gepäckbündel nach oben und fuchtelte mit seiner Hand, bis Philip die seine hinabstreckte. Er griff danach. Xelia hatte sich auf Philips Beine gesetzt, um ihn mit ihrem Gewicht vor dem Abrutschen zu bewahren. Lola hüpfte kläffend um die beiden herum, das Verhalten ihrer Kameraden musste ihr mehr als seltsam erscheinen.
Nach mehreren Anläufen fand Adalbert so viel Halt in der Schneewand, dass er sich hochhangeln konnte. Sein Gesicht war nach der Anstrengung schweiÃnass und rot. »Du meine Güte, wie konnte das passieren?« Seine Hände zitterten, als er sich den Schweià von der Stirn wischte. »Im einen Augenblick war alles noch ganz normal â und plötzlich zog mir jemand den Boden unter den FüÃen weg!« Er setzte sich auf den festgetrampelten Schnee.
Xelia beugte sich über ihn und tastete seine Beine ab. Adalbert machte einen ungeduldigen Ruck zur Seite. »Die Beine haben nichts, aber ich glaube, unten am linken Knöchel ist etwas nicht in Ordnung.« Er stand auf und stieà dabei ungewollt einen Schmerzensschrei aus. »Ah, verdammt!« Er machte einen Schritt nach vorn, das linke Bein ein wenig nachziehend. Dann noch einen. SchlieÃlich blieb er stehen. »Na, es geht doch! Wenn wir heute noch in Sankt Leonard ankommen wollen, müssen wir uns beeilen.«
Philip gönnte sich einen tiefen Atemzug. Nun, da es schien, als ob Adalbert mit dem Schrecken davongekommen sei, lieà der Krampf in seiner Magengegend langsam wieder nach. Er half Xelia, die noch im Schnee kniete, aufzustehen, schulterte sein Gepäck wieder und ging erneut voraus. Gott sei Dank war noch mal alles gut gegangen â er hätte nicht gewusst, was er im anderen Fall getan hätte!
Seine Erleichterung sollte nicht lange andauern, denn schon kurze Zeit später wurde Adalbert erst langsamer,dann blieb er ganz stehen. Er sah verlegen aus, als sei ihm ein schlimmes Missgeschick geschehen, an dem er allein die Schuld zu tragen habe. »Es geht nicht, es tut mir leid.« Er schaute zu Philip. »Ihr müsst allein weiter.«
Philip erwiderte erst einmal gar nichts. Seine Gedanken rasten hilflos im Kreis herum, was ihn angesichts der wenigen Möglichkeiten, die ihnen blieben, umso mehr ärgerte. Logisches Denken war gefragt und kein hilfloses Trudeln, einem Ertrinkenden in einem See gleich!
Xelia hatte sich neben Adalbert aufgebaut, als wolle sie sagen: Nie und nimmer lasse ich dich allein! Ihre Augen waren ein Stück enger zusammengerückt, ihre Stirn kräuselte sich, und er sah, wie sich ihr Brustkorb hob und senkte. Wie gut er das Weib inzwischen kannte! Gleich! Gleich würde wieder einer ihrer forschen Sprüche kommen, von wegen, man müsse zusammenhalten, einander beistehen und so weiter. Und sie würde ihn dabei mit ihren herausfordernden Augen anschauen, so dass er sie am liebsten geschüttelt hätte. Natürlich hatte sie mit vielem recht, doch war es nicht vernünftiger, erst einmal darüber nachzudenken, wie das Einanderbeistehen aussehen sollte? Vertraute sie ihm immer noch nicht? Warum bloà fühlte er sich immer dann, wenn es kritisch wurde, Xelia gegenüber so fremd? Gerade eben noch hatte er geglaubt, voller Gefühle in der Tiefe ihrer Augen versinken zu müssen, und nun war es wieder, als stünde eine Fremde vor ihm.
Philip riss sich zusammen und wischte alle Gedanken wie lästige Fliegen weg. »Ich gehe los und hole Hilfe!« Sein Tonfall und sein Blick lieÃen keine Widerrede zu, und so kam auch kein Mucks von Xelia. Anstelle von Abwehr sah er sogar etwas Vertrauensseliges in ihren
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