Die Liebe des Kartographen: Roman
Körper. Laut Samuel bohrte sich an ihrer Hüfte schon ein Knochen durchs blanke Fleisch. Die arme Frau! Da Xelia in der Gerberei keine Kräutervorräte aufbewahren durfte, hatte sie ihr Kräuterversteck im Wald aufsuchen müssen: Ein kleines unterirdisches Erdloch, das hinter einem Hügel so verborgen lag, dass bisher weder Mensch noch Tier es entdeckt hatten, war Xelias Schatztruhe, in der sie ihre Kostbarkeiten aufbewahrte. Doch ein Blick auf ihre Vorräte hatte sie schnell ernüchtert. Für eine Salbe, wie Samuels Mutter sie benötigte, war nach dem langen Winter nichts mehr da. Also hatte sie frische Kräuter suchen müssen. Leicht war das nicht gewesen, und es hatte viel Zeit gekostet: AuÃer Huflattich, Gänseblümchen und Spitzwegerich wuchs im März für eine Wundsalbe noch nichts Geeignetes. Xelia hatte sich das Gehirn zermartert, um auf die bestmögliche Mischung zu kommen â noch nie war es ihr so schwergefallen, sich einer Sache zu widmen. Immer wieder hatte sie an die sanften Augen Samuels denken müssen und an das eigenartige Gefühl, das sie in seiner Gegenwart überkommen hatte. So, als ob die Sonne plötzlich heller schien. Nein, das traf es nicht. Oder nicht richtig. Dachte sie an Samuel, war ihr zumute, als müsste ⦠im nächsten Moment etwas geschehen. Etwas Gutes. Samuel war irgendwie ⦠verheiÃungsvoll! Sie musste über sich selbst kichern und kam sich sehr komisch dabei vor.
Ob er wohl wie verabredet am Bach auftauchen würde?Warum begann sie zu zittern, wenn sie nur daran dachte, dass er es sich womöglich anders überlegt hatte?
Hastig pflückte sie auf dem Weg zum Bach einige Hand voll Spitzwegerichblätter ab, die sie für den Gerber brauchte. Und das Seifenkraut durfte sie nachher auch nicht vergessen, sonst â¦
Nach wenigen Schritten war ihr Rock kniehoch nass. Erst mittags hatte es geregnet, und der Boden war kalt und feucht. Wenn ihre Mutter sie jetzt sehen könnte, würde sie wahrscheinlich verständnislos den Kopf schütteln. Wie konnte man nur bei diesem Wetter Kräuter sammeln!
Je näher Xelia dem Bach kam, desto stärker klopfte ihr Herz. Dabei war sie gar nicht so schnell gelaufen.
Und dann sah sie ihn stehen: wie letzte Woche in edlen Zwirn gekleidet, mit Lederschuhen an den FüÃen und sauber gewaschenem Haar. Noch nie hatte sie einen so feinen Mann gesehen! Einen Augenblick lang schob sich ein anderes Bild vor ihre Augen: wie der Gerber am Laugenbottich stand; dreckig, stinkend, gemein. Nie durfte Samuel Genaueres über ihr Zuhause erfahren!
Plötzlich um Worte verlegen, drückte sie ihm den Tiegel mit der gelbgrünen Salbe in die Hand und staunte dabei über ihr Zittern. »Damit soll sich deine Mutter dreimal am Tag die wunden Stellen einreiben. Wenn sie es selbst nicht kann, muss ihr jemand dabei helfen.« Xelia blies sich ein paar Haarsträhnen aus der Stirn, um ihr Gegenüber besser sehen zu können. Ja, auch diesmal war ihr so wohl in seiner Gesellschaft! Obschon er weià Gott kein groÃer oder besonders kräftiger Mann war, hatte sie neben ihm das Gefühl, nichts auf der ganzen Welt könne ihr etwas anhaben. Es war, als würde er eine innere Stärke in ihr wecken. Seltsam. Krampfhaft überlegte sie, was sie als Nächstes sagen sollte, doch nichts kam ihr in den Sinn. Sie fühlte sich auf einmal tölpelhaft und dumm, und trotzdem wollte sie das Zusammensein mit Samuel unter allen Umständen verlängern. Sollte das alles gewesen sein? Warum geschah denn nichts? Wo blieb das VerheiÃungsvolle? Verunsichert hielt sie die Luft an. Samuel konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden und schämte sich wegen seines Gestarres. »Was kostet die Salbe?«, hörte er sich schlieÃlich krächzen, und seine Wangen färbten sich rot vor Verlegenheit. Noch niemals hatte er ein solch anmutiges Mädchen gesehen, eine Anmut, die umso mehr hervorstach, als sie in krassem Kontrast zu den Lumpen stand, mit denen Xelia bekleidet war. Seine Hände zuckten, und er musste schwer an sich halten, nicht über ihr wie Silber glänzendes Haar zu streichen. Er war so verwirrt, dass er beinahe vergaÃ, sie nach dem Lohn für die Salbe zu fragen. Dabei hatte sie doch sicher jeden Heller nötig! Xelia jauchzte innerlich auf. Seine Verwirrung, sein seltsames Verhalten, das irgendwie mit ihr zu tun haben musste,
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