Die Liebe des Kartographen: Roman
erfüllte sie mit einem Glücksgefühl, das sie nicht kannte. Sie wusste nicht, was sie für die Salbe verlangen sollte. Fragte sie jemand aus dem Dorf nach einer Medizin, fiel ihr immer ein passender Preis dafür ein. Viel nahm sie eh nicht. Wo sollte sie mit dem Geld auch hin? Feltlin durfte es keinesfalls sehen, und ausgeben konnte sie es auch nicht. Nicht einmal in ihren Rocksaum konnte sie die Geldstücke einnähen, dort hätte Feltlin sie als Erstes entdeckt. Ihr schauderte, und auf einmal hatte sie einen dicken Kloà im Hals. Warum musste sie gerade jetzt daran denken? Irgendwann hatte sie angefangen, das Geld in ihrem Kräuterversteck im Wald aufzubewahren, und so hatte sich in den letzten Jahren ein ganzer Beutel voller kleiner Münzen angesammelt, die in ihren Augen jedoch völlig wertlos waren. Sie wollte nicht, dass ihre Begegnung mit Samuel damit endete, dass ihr Geldbeutel weiter anschwoll. Sie wollte ihn wiedersehen und sie wollte â ja was?
»Deine Mutter soll die Salbe erst einmal nehmen. Wenn sie wirkt, kannst du mich ja nächste Woche bezahlen.«
So blieb ihm zum Glück nichts anderes übrig, als einzuwilligen, nochmals hierher zu kommen.
~ 7 ~
D ie Salbe würde helfen, meinte Samuel beim nächsten Treffen und bat Xelia um ein weiteres Mittel. Seine Mutter hätte gleichzeitig vom Liegen so dicke Beine, wie mit einem Blasebalg aufgeblasen. Ob Xelia wohl dagegen etwas wüsste? Und wieder starrte Samuel sie an, als stünde eine Prinzessin vor ihm. Und wieder schlich er um sie herum wie eine Katze um den Sahnetopf. Keiner von beiden wollte ihre Zusammenkunft beenden, und doch war es, als hätten sie Knoten in der Zunge, so schwer taten sie sich mit dem Reden. Wie beim ersten Mal überfiel Xelia eine Aufgeregtheit, die sie nicht kannte, eine Art freudige Erwartung, auch wenn sie nicht wusste, auf was sie eigentlich wartete. In Samuels Gegenwart fühlte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben als jemand Besonderes.
Wieder in der Gerberei, erwischte sie sich dabei, leise vor sich hin zu summen, was ihr einen misstrauischen Blick des Gerbers einbrachte. Dabei hatte sich eigentlich nichts in ihrem Leben geändert: Sie musste so viel und so schwer arbeiten wie zuvor, der Gerber nahm sich immer noch, was er als sein Recht ansah, und die Stimmung in der kleinen Hütte war so freudlos wie eh und je. Doch Xelia konnte bald nur noch an Samuel denken. Im Stillen malte sie sich aus, wie ihr nächstes Treffen verlaufen würde, oder sie durchlebte die letzte Zusammenkunft in jeder Einzelheit noch einmal. Sie spürte Annas und Sybilles fragende Blicke, doch sie erzählte ihnen nichts. Obwohl sie in manchen Momenten das Gefühl hatte, beinahe zu platzen. Aber sie wollte nicht durch ihr eigenes Glück Annas und Sybilles Pein verstärken. So hütete sie ihr Geheimnis, wie man ein Katzenjunges schützend unter einer Jacke versteckt.
Sie trafen sich immer wieder. Jedes Mal brachte Xeliaeine Salbe, einen Tee oder auch nur ein Büschel frische Kräuter mit, die der armen Sarah Blaustein Linderung verschaffen sollten. Es war nicht leicht, ständig Ausreden für ihre Fluchten aus dem Haus zu finden. Xelia gelang es dennoch. Ober den Einfallsreichtum, den sie dabei entwickelte, staunte sie selbst am meisten. So viel Schläue, aber auch so viel Hinterhältigkeit hätte sie sich selbst gar nicht zugetraut. Doch ein schlechtes Gewissen hatte sie dabei trotzdem nicht.
Einmal, der Gerber war gerade nach Ulm aufgebrochen, um die Arbeit der letzten Monate in klingende Münze umzusetzen, hätte Xelia die gute Gelegenheit, aus dem Haus zu kommen, fast ungenutzt verstreichen lassen. Erst im letzten Augenblick hatte sie es sich anders überlegt und war die ganze Strecke von der Gerberei bis zum Waldrand gerannt, um Samuel noch anzutreffen. Doch als sie seinen Blick sah, bereute sie ihren Entschluss sofort wieder.
»Um Himmels willen! Was ist denn mit dir passiert?« Er strich über ihre blau gefärbte linke Wange, über ihr zugeschwollenes Auge, und seine Lippen zitterten dabei. Seine Bestürzung war so tief und so echt, dass Xelia den Drang verspürte, ihre Verletzung herunterzuspielen.
»Es ist nicht so schlimm, wieâs aussieht.«
Mit der Zunge fuhr sie an dem locker gewordenen Zahn entlang, den Feltlins Faust am Abend zuvor ebenfalls erwischt hatte. Dann verzettelte sie sich in fadenscheinigen Erklärungen
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