Die Liebe des Kartographen: Roman
»Handwerksgesellen dürfen nicht heiraten, grad so, wie es für Knechte auch verboten ist. Wenn wir ein Weib haben wollen, dann schlieÃen wir eine Maienehe. Das heiÃt, ab ins Freie!« Es war ihm anzusehen, was er von diesen Verboten hielt. »Tja, und dann ist der Böttcher gestorben, und mein Glück hat sich gewandelt.«
Jetzt wurde Philip das Gespräch doch viel zu vertraulich. »Und dann?«, hörte er sich dennoch fragen.
»War ein guter Meister, nicht so wie die anderen. Kein einziges Mal ist dem die Hand ausgerutscht. Aber da wärâ er bei mir auch an der falschen Stelle gewesen.«
Das glaubte Philip dem Mann aufs Wort.
»Und da war ich plötzlich frei. Ohne Meister kein Geselle, so einfach ist das! Das Weib war Witwe und allein, was hättâ sie ohne mich machen sollen? Da habâ ich sie geheiratet und bin damit selbst Meister geworden.« Der Stolz in seiner Stimme lieà Philip aufschauen. Der Böttcher sah eigentlich ganz und gar nicht unzufrieden aus, sondern eher so, als sei er glücklich über sein Schicksal. Und dazu hatte er auch allen Grund, wenn Philip es recht bedachte.
»Es wird Zeit, dass ich mich schlafen lege!« Er gähnte übertrieben laut. Auf was für Gespräche lieà er sich nur ein!
Obwohl er todmüde war, ging ihm später noch so viel durch den Kopf, dass er lange nicht einschlafen konnte. Wenn es doch nur schon Morgen wäre! Philip konnte es kaum mehr abwarten, zu seiner Kartenarbeit zurückzukehren. Beim ersten Lichtstrahl würde er den Böttcher für dieUnterkunft bezahlen, Alois zäumen und aufbrechen. Blaubeuren, so der Böttcher, lag ungefähr sechs Tagesmärsche von Anstetten entfernt. Laut der Karte aus dem Jahre 1558, die Philip als Vorlage diente, hätten es dreimal so viel Meilen sein müssen. Auch gut! Dann würde er umso eher Adalbert Hyronimus besuchen und herausfinden können, was aus seinem alten Lehrer geworden war. Adalbert hätte das vergiftete Wasser der Anstettener zu seiner höchstpersönlichen Angelegenheit erklärt, schoss es Philip durch den Kopf. Mit Gott und der Welt und dem Anstettener Pfarrer noch dazu hätte er sich angelegt und nicht eher geruht, bis die Ursache ein für alle Mal gefunden worden wäre. Philip verzog den Mund. Sosehr er Hyronimus als Kapazität schätzte, so sehr war ihm dessen umtriebige, geradezu aufrührerische Seite ein Gräuel! Er erinnerte sich daran, wie er sich früher bei Hyronimusâ hitzigen Ausbrüchen oft dazu verpflichtet gefühlt hatte, Stellung zu beziehen â zu Dingen, die ihn weià Gott nicht interessierten! Oder die ihm nur Arger eingebracht hätten, hätte er sich weiter mit ihnen beschäftigt. Aber vielleicht hatten das Alter und der aufopfernde Beruf den Arzt ein wenig leiser und weniger streitsüchtig gemacht. Man konnte es nur hoffen, dachte Philip und kroch unter seine Decke.
~ 9 ~
W ieder einmal waren Xelia und Anna im Wald, um Eichenrinde zu holen. Jetzt im Sommer war diese Arbeit noch mühsamer als in den kalten Monaten. Die Rinde war trocken und lieà sich schlecht vom Stamm lösen. Fast schien es, als wehrten die Bäume sich mit ihrer ganzen Kraft dagegen, entblöÃt zu werden. Der Schweià lief den beiden jungen Frauen in Bächen herab, während sie stumm, jede in ihre eigenen Gedanken versunken, vor sich hin schabten. Immer wieder störte ihr Messer eine der Kolonnen rotbrauner Ameisen, die auf vorbestimmten Wegen den Stamm auf- und abwanderten und die sich in ihren Händen festbissen. Dort verspritzten sie ihr Gift, so dass es höllisch brannte. Ein ums andere Mal hielt Anna inne, um das Brennen mit ihrer Spucke zu betäuben.
Xelia spürte nichts. Weder die körperliche Anstrengung ihrer Arbeit noch die Hitze oder die roten Plagegeister. Letzte Woche war es so weit gewesen. Da hatte Samuel die erlösenden Worte gesagt: »Ich hole dich raus aus dem ganzen Elend.« Er müsse nur noch einen guten Moment abpassen, um mit seinem Vater zu reden, hatte er gemeint, und seine Stimme hatte nur ein kleines bisschen gewackelt. Xelia hatte seine Hand genommen und auf ihre Brust gelegt.
Sie seufzte und fing einen Blick von Anna ein. Wennâs nur schon wahr wäre! Nicht, dass Samuel in allen Einzelheiten wusste, was im Hause des Gerbers geschah, Gott behüte! Welcher Mann würde ein Weib wollen, das vom eigenen Vater
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