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Die Liebe des Kartographen: Roman

Die Liebe des Kartographen: Roman

Titel: Die Liebe des Kartographen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Keine der Türen war von innen verriegelt oder gar mit einem Schlüssel abgeschlossen. Jedes Mal war sie wieder draußen, bevor Xelia ihr folgen konnte.
    Aus dem vierten Haus war Stimmengemurmel zu hören. Xelia straffte die Schultern, atmete tief durch. Es wäre ja auch zu schön gewesen!
    Â»Keine Angst«, flüsterte Marlene noch, dann war sie drinnen und winkte Xelia ebenfalls hinein.
    Der Gestank raubte ihr im nächsten Moment den Atem. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, hüllte er sie ein: faulig, süßlich wie vergorenes Fallobst, nach ungewaschenen Leibern, nach mit Läusen verklebtem Haar, Mäusekot und – nach tiefstem Elend. Es nutzte nichts, dass Marlene sich zu ihr umdrehte und ihr aufmunternd zunickte – Xelias rechte Hand schob sich unter ihren Umhang und konnte das Würgen, das sich in ihrer Kehle sammelte, gerade noch zurückpressen. Kein Schweinekoben konnte so stinken wie dieses Loch hier!
    Marlene schien gegen den Gestank gefeit zu sein, ihr Schritt war fest und sicher, als sie die schmale Holzstiege hochging. Nur ungern folgte Xelia ihr. Von oben kamen die Stimmen.
    Als handele es sich um einen völlig normalen Besuchbei Nachbarsleuten – dass es für Marlene nichts anderes war, war Xelia in diesem Augenblick nicht klar –, scherzte die Waschfrau zur Begrüßung mit den Hausbewohnern. Worum es dabei ging, bekam Xelia nicht mit – sie stand noch immer wie festgewurzelt auf dem letzten Stiegenabsatz. »Barbara, wo bleibst du denn? Soll ich die Arbeit allein machen, oder was?«, hörte sie die ungeduldige Stimme von Marlene. Und »Barbara, verdammt noch mal!«, kam es gleich wieder. Es dauerte, bis Xelia klar wurde: Barbara, das war sie!
    Ihr Kopf surrte wie ein ganzer Bienenschwarm.
    Was danach folgte, konnte sie im Nachhinein nur zu den schlimmsten Momenten ihres Lebens zählen.
    Das Zimmer war groß und viereckig. Entlang der Wände standen grob zusammengezimmerte Betten, auf denen nichts als blankes Stroh lag. Kein goldgelbes Weizenstroh, kein dünnfasriges, helles Haferstroh, sondern braune, störrische Matten, in denen der Schimmel hauste und allerlei Getier. Kein Laken, keine Decke war darüber gestülpt, nichts, was die Kälte gemindert hätte. Außer der Wäsche, die Marlene im Arm hielt, schienen die armen Leute nichts zu besitzen. Doch das Schlimmste waren die Menschen selbst: wie Ratten, Leib an Leib zusammengepresst, hatten sie sich gegen die Kälte unters Stroh gewühlt. Xelia konnte nicht glauben, was sie sah, und zählte im Stillen dreimal nach. Es waren vierzehn – vier uralte Männer und zehn ebenfalls alte Weiber. Während Marlene von Barbaras schrecklicher Heiserkeit erzählte und Xelia sich ein Husten abrang, kletterten drei der erbarmungswürdigen Gestalten aus einem der Betten, um gemeinsam den vierten herauszuheben. Sofort schlug Xelia ihre Augen nieder. Sie hatte Angst, dass sie den Anblick nicht ertragen und sich wer weiß wie aufführen würde.
    Sie wartete auf Anweisungen von Marlene, die ächzend ein Laken auseinanderfaltete. Als keine kamen, ergriff Xelia einen Zipfel des Lakens und zog es mit der Waschfrauüber die stinkende Matte. Warum in aller Welt tauschten die Leute das vergammelte Zeug nicht aus? Zweimal im Jahr frisches Stroh musste doch in der erbärmlichsten Hütte möglich sein!
    Marlene plauderte, scherzte, tröstete – und Xelia wurde die Kehle immer enger. Mit kleinen, kurzen Atemzügen, bei denen so wenig Luft wie möglich in ihre Nase gelangte, machte sie Lager für Lager. Nur noch eins, nur noch eins, sagte sie sich vor, als sie plötzlich mit einem Ruck nach hinten gezogen wurde. Unwillkürlich schrie sie auf.
    Â»Na, Barbara, kann ich dich heute endlich in mein Lager überreden?« Knorrige Hände – an der rechten fehlten zwei, an der linken drei Finger – schlangen sich um ihre Hüfte, pressten sie an einen Leib, der so kalt war wie der Tag selbst. »Ein Mannsbild wie mich kriegst du nicht alle Tage, weißt du das?«, flüsterte er für alle hörbar von hinten in ihr Ohr. Lachen und Kichern der anderen. Dadurch angestachelt, packte der Mann noch fester zu. »Und das, was du brauchst, ist auch noch dran an mir!« Noch mehr Lachen, und Xelia spürte etwas schmales Hartes in ihrem Rücken. Nein! Ekel schwappte über sie wie kalter,

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