Die Liebe des Kartographen: Roman
stehen: die Mauern des Spitals. Und wenn Philip doch recht hatte und ihr Plan nichts als Tollerei war? Sie wusste ja noch nicht einmal, wie sie vorgehen sollte, wenn sie drinnen war! Hätte Philip ihr doch wenigstens ein paar Ratschläge gegeben, statt nur gegen sie zu reden! Sie hätte sich zu gern auch auf seinen kühlen Verstand verlassen und nicht allein auf ihre Gefühle! Marlene war in dieser Hinsicht ebenfalls nicht gerade hilfsbereit gewesen. »Ich bringâ dich zu dem Arzt, mehr aber auch nicht!«, hatte sie gemeint. Sie hatte weder über dessen vermeintliche Erkrankung reden wollen noch über andere Einzelheiten aus dem Spital. Je weniger die Heilerin wüsste, desto besser, waren ihre Worte gewesen.
Marlene räusperte sich. »Was ist? Willst du Wurzeln schlagen?«
Xelia musste ihr ganzes Gewicht nach vorne werfen, um den Wagen wieder loszuziehen.
»Am Tor â der Wachmann ⦠Er hat ein Auge auf Barbara geworfen und sie auf ihn.«
»Und? Wie soll ich mich verhalten? Ich kann doch nicht mit ihm herumschäkern!«
»Nein, das geht nicht.« Die Waschfrau verzog ihren Mund. »Wir werden einen Streit vortäuschen. Ich werde dich beschimpfen, deine Faulheit rügen und dich am Arm weiterziehen, so dass dir gar keine Möglichkeit bleibt, dem Mann schöne Augen zu machen. Normalerweise habâ ich ja nichts dagegen, wenn die beiden â¦, man war ja schlieÃlich selbst mal jung. Aber heutâ bin ich halt schlecht gelaunt!«
Xelia atmete auf. Marlene schien an alles zu denken. Das musste sie aber auch, schlieÃlich ging es nicht zuletzt darum, ihre eigene Haut zu retten! Der Gedanke war irgendwie tröstlich. »Gibt es sonst noch etwas, was ich wissen sollte?«
»Nur tausend und eine Sache!«, kam es trocken zurück.Marlenes Blick verriet, dass sie auf das Schlimmste gefasst war. »Achte immer auf mich und das, was ich mache, und tu es mir gleich. Wenn einer mit dir sprechen will, dann huste ihm etwas vor, den Rest erledige ich.« Sie rieb sich ihr Kreuz und stöhnte. »Wenn ich nicht die argen Schmerzen hättâ, nie und nimmer tätâ ich mich auf so eine Narretei einlassen!«
Xelia sagte nichts dazu. Auf diese Litanei konnte sie jetzt gut verzichten.
Sie hatten Glück. Der besagte Wachmann war nicht zur Stelle, sondern ein anderer, dessen BegrüÃung lediglich aus einem Kopfnicken bestand. Als er das schwere Tor öffnete, stöhnte er mindestens so schmerzgeplagt wie Marlene.
Dann waren sie drinnen. Durch ihre Schleier tauschten Marlene und Xelia einen Blick aus, und plötzlich fühlten sie es beide: Was immer auch vor ihnen lag, sie würden es gemeinsam meistern.
Die Aussätzigensiedlung war wie ein gewöhnliches Dorf angeordnet, höchstens einer strengeren Ordnung folgend. Beim Anblick der aneinandergereihten Häuser, in den meisten war es noch dunkel â atmete Xelia ein wenig auf. Vielleicht konnten sie die saubere Wäsche verteilen, bevor die Leute aufwachten? Danach, hatte Marlene erklärt, würden sie den ganzen Tag im Badehaus beschäftigt sein, da heute der monatliche Badetag sei. Wer zum Baden kam und wer nicht, hatte sie im Voraus nicht sagen können, sie hoffte jedoch, dass es angesichts der eisigen Kälte nicht allzu viele sein würden.
Xelia hatte gestutzt. Ein Badetag pro Monat? Das war reichlich wenig, vor allem bei Kranken, oder? Gesagt hatte sie jedoch nichts, sie hatte nicht vorwitzig klingen wollen.
Vorsichtig schaute sie sich nun um. Alles machte einen ordentlichen Eindruck, wirkte normal: Die Gassen waren schon vom gröbsten Schnee befreit, graue matschige Berge türmten sich entlang der Häuserfronten. Es lag kaumUnrat herum, und gesehen hatten sie bisher auch noch niemanden. Ebenso vorsichtig probierte sie von der Luft. Hing etwas Krankes in der Luft? Oder Gefahr? Eigentlich nicht ⦠Das Einzige, worüber Xelia sich nicht hinwegsetzen konnte, war die Trostlosigkeit, die durch die Gassen wehte. Aber konnte es an einem Ort, an dem nur Kranke hausten, einen Grund zur Fröhlichkeit geben? Wohl nicht, schalt Xelia sich für ihre Empfindsamkeit. Langsam füllte sie ihre verkrampfte Brust mit mehr Luft. Vielleicht war ihre Angst ja völlig umsonst.
In den ersten drei Häusern, in denen sie Wäsche ablieferten, regte sich tatsächlich noch nichts. Ãberall trat Marlene nach einem kurzen Anklopfen ein.
Weitere Kostenlose Bücher