Die Liebe des Kartographen: Roman
geschehen? Hatte der Aussatz nicht nur ihre Glieder, sondern auch ihren Wohlstand aufgefressen? Oder warum gab es in ihren Häusern nicht einmal einen Tisch und eine Bank zum Draufsitzen? Warum hatten sie keine wärmenden Kleider, unter denen sie ihre kranken Glieder verbergen konnten? Warum durften sie nur so selten baden? Warum, warum, warum?
Stunde um Stunde verging, und immer noch kamenKranke, die gebadet werden wollten. Nur Hyronimus war nicht dabei.
Es dämmerte schon wieder. Eine erleichterte Stille lag in den Gassen, als seien die Spitalinsassen froh, einen weiteren Tag hinter sich gebracht zu haben. Auch das Feuer, über dem Kessel für Kessel Wasser erhitzt wurde, gab langsam seinen Geist auf. Das letzte Brennholz war aufgebraucht, auch hinter dem Badehaus war keines mehr gelagert. Xelia versuchte, der dunkelroten Glut neuen Atem einzuhauchen, ganz nah beugte sie sich zu dem ausgebrannten Aschehaufen hinab und hob sogar ein wenig ihren Schleier, um besser pusten zu können. Drei Leute waren noch da, die gebadet werden wollten. Da spürte sie plötzlich Marlenes Atem im Ohr. »Da ist er!«, flüsterte sie.
Abrupt blickte Xelia auf. Hyronimus! Die Glut nutzte den Augenblick, um endgültig einzuschlafen. Wie bekommen wir jetzt das Wasser warm?, ging es Xelia durch den Kopf.
»Wurde wieder zu wenig Holz hergerichtet?« Der Mann stieà mit seiner Stiefelspitze in die Glut, dass sie weiÃglimmernd auseinander flog. »Verdammt noch mal! Warum lassen sie die Leutâ nicht gleich im Schnee baden?«, polterte er durch den ganzen Raum, der auf einmal viel kleiner wirkte als zuvor.
Marlene blickte auf. »Es hat ja bis jetzt gelangt. Letzte Woche warâs viel weniger. Vielleicht hätten wir ein wenig sorgsamer â¦Â«
»Ach, lass gut sein! Um mit dem mickrigen Holzstapel eine Feuerstelle den ganzen Tag lang zu füttern, müsstest du zaubern können, Marlene. Wenn ich nur â¦Â« Den Rest schluckte der Mann hinunter, was ihm sichtlich schwer fiel. Prüfend hielt er eine Hand in den Waschzuber, dann winkte er den Nächsten der Wartenden heran. »Hinein mit dir, bevor der Tümpel völlig einfriert!« Ohne sich zu verabschieden, ging er. Die Luft in dem feuchten Badehaus war wie aufgeladen, und Xelia glaubte, Funken sprühen zu sehen.
»Barbara!«, kam es scharf von Marlene. »Barbara!«, wiederholte sie. »Bist du eingeschlafen? Du wolltest den Arzt doch wegen deines Hustens fragen!«
~ 41 ~
U nd dann standen sie sich gegenüber. Unwillig sah der Mann Xelia an. »Was gibtâs noch, Barbara?«, kam es ohne allzu viel Begeisterung.
Xelia machte einen Schritt auf ihn zu, bis ihr Kopf nur noch eine Handbreit von seinem entfernt war. »Ich bin nicht Barbara«, flüsterte sie und fuhr eilig fort: »Ich komme von Philip Vogel. Wirâ¦Â« Plötzlich wusste sie nicht mehr weiter. Sie kam sich unendlich töricht vor.
»Philip Vogel? Der Kartograph?« Hyronimus schüttelte den Kopf. »Was um alles in der Welt �«
»Er wollte Sie besuchen, nur â wir durften nicht rein ins Spital.« Bevor er etwas erwidern konnte, schilderte sie ihm rasch das Auftreten des Wachmannes. Ihm Philips ursprünglichen Plan zu erklären und welche Rolle sie dabei gespielt hatte, verwarf sie auf der Stelle. Das wäre nun wirklich zu verzwickt gewesen, und Hyronimusâ Miene war schon argwöhnisch genug. »⦠jedenfalls haben wir beschlossen, dass ich, als Waschfrau verkleidet, zu Ihnen komme, um herauszufinden, ob es Ihnen gut geht.« Sie überlegte kurz, ob sie ihm die Hand geben sollte, lieà es dann aber bleiben. Wenn jemand sie beobachtete â¦
»Ich heiÃe übrigens â¦Â«
»Philip Vogel â und sich Sorgen machen?«, unterbrach er sie barsch und machte einen Schritt zurück. »Nie und nimmer schickt dich Philip! Da steckt doch wieder eine Sauerei dahinter!« Er packte Xelia grob am Handgelenk und zog sie hinters Badehaus. Mit einem flüchtigen Blick vergewisserte er sich, dass sonst niemand in der Nähe war, dann riss er ihr mit einem Ruck den Schleier vom Kopf. »Wer bist du, Weib? Und was willst du von mir?« Als ekele es ihn vor ihr, stieà er ihre Hand regelrecht von sich weg.
Xelia rieb sich den Kopf, da er auch eine Haarsträhne erwischt hatte. Dann hängte sie den Schleier wieder um, sparte jedoch ihr Gesicht dabei
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