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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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verloren hätte und über Bord gefallen sei.
    »Das klingt seltsam«, sagte Vitus. »Ein Mann verliert nicht plötzlich grundlos sein Gleichgewicht, jedenfalls nicht, wenn er gesund und nüchtern ist. Und dieser Mann war nüchtern. Könnte es sein, dass bei dem Sturz jemand nachgeholfen hat?«
    Die Männer zuckten mit den Schultern und begannen, sich zu entfernen, denn ein Wagen für den Abtransport von Pigett kam herangefahren. Nur einer von ihnen kratzte sich am Kopf und sagte: »Es könnt sein, dass ihn jemand runtergeschubst hat, Sir, bin mir aber nich sicher, hab nur so ’ne Bewegung im Augenwinkel gesehn, mehr nich.«
    »Wie ist dein Name?«
    »Huck, Sir, wie
huckleberry,
die Beere.«
    »Danke, Huck. Hilf jetzt den anderen Männern, die Leiche aufzuladen. Und Ihr, Stonewell, sprecht mit dem Hafenkommandanten, er soll einen Pfarrer verständigen und für die Beerdigung sorgen. Die Kosten dafür sollen aus dem Verkauf von Pigetts Habe bestritten werden.«
    »Jawohl, Sir, ich werde mich um alles kümmern.«
    Vitus fand, dass sich Stonewell als sehr anstellig erwies, und betrat über die Laufbrücke das Schiff. Nach Pigetts Tod hatten die Matrosen ihre Arbeit wieder aufgenommen, so dass kaum einer von ihnen Vitus beachtete. Er griff sich einen Mann und fragte, ob Kapitän Steel an Bord sei.
    »Aye, Sir, er ist in seiner Kajüte. Ich bring Euch zu ihm.«
    Wenig später salutierte der Posten vor der Tür zu Steels Reich und ließ ihn vorbei. Vitus klopfte an.
    »Hereinspaziert!«, ertönte eine Bassstimme.
    Vitus trat ein und stand vor einem fülligen Mann, dessen rosige Wangen netzartig von roten Äderchen durchzogen waren. Dies und die rote Nase sprachen für einen regelmäßigen Alkoholkonsum. Dass Vitus’ Vermutung richtig war, sollte sich sogleich erweisen, denn Steel deutete auf einen Krug Wein und zwei Gläser und sagte: »Ich habe schon auf Euch gewartet, Mylord. Der Lordadmiral hat Euch angekündigt und einiges von Euch berichtet. Es ist für mich und meine Männer eine große Ehre, an Bord einen echten Earl zu haben.«
    »Der aber nicht als solcher angesprochen werden will«, sagte Vitus. »Cirurgicus genügt.«
    »Gern, äh, Cirurgicus. Darf ich Euch zur Feier des Tages ein Gläschen anbieten?«
    »Danke, ich kann jetzt eines brauchen«, sagte Vitus. »Und Ihr könnt es auch, denn offenbar hat Euch niemand über die Geschehnisse am Kai informiert.«
    Steel zog ein fragendes Gesicht, und Vitus erzählte ihm, was vorgefallen war.
    »Sapperlot!«, rief Steel aus, als Vitus geendet hatte. »Gut, dass ich sitze. So ein verdammtes Pech aber auch! Da denkt man, einen fähigen Ersten bekommen zu haben und muss mit einer Leiche vorliebnehmen. Äh, nicht dass Ihr mich falsch versteht, Cirurgicus, natürlich tut mir der Mann leid, aber davon hat er nun auch nichts mehr.«
    »Für seine Beerdigung wird gesorgt werden, ich habe alles veranlasst.«
    »Dann bin ich beruhigt. Es ist immer gut, wenn die Seelen der Verstorbenen nicht heimatlos herumgeistern, weder an Land noch auf See.« Steel unterdrückte ein Rülpsen. »Trinken wir auf ihn!«
    Vitus, der an die menschlichen Mängel Pigetts denken musste, sagte: »Wenn Ihr gestattet, Sir, würde ich lieber zunächst auf die Königin trinken.«
    »Richtig, richtig, wie konnte ich unsere Jungfrauenmajestät nur vergessen! Ha, ha, ich werde alt.« Steel erhob sich schnaufend. »Auf dass sie lange lebe, gesund bleibe und nicht gesegneten Leibes werde, jedenfalls nicht ohne Ehegespons, ha, ha!
Cheers!
«
    »Cheers!«
Vitus fand den Trinkspruch etwas ungewöhnlich, sagte aber nichts.
    »Aaah, das tat gut!« Steel setzte sich wieder und wollte zum gemütlichen Teil des Tages übergehen, aber der Gedanke, keinen Ersten Offizier mehr zu haben, hinderte ihn daran. »Wirklich ärgerlich, das mit Pigett«, dröhnte er. »Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als den Zweiten zum Ersten zu machen, den Bootsmann zum Zweiten, einen der Maate zum Bootsmann und so weiter. Es ist wie beim Dominospiel: Stößt man einen Stein an, stößt man alle an. Der Einzige, der dabei nicht befördert wird, bin ich, ha, ha.« Steel schenkte sich nach und vergaß dabei Vitus, aber dieser hätte sowieso abgelehnt, da er gehen wollte.
    »Wenn Ihr erlaubt, Captain, würde ich mich gern in meiner Kammer einrichten und anschließend die Behandlungsräume im Schiff ansehen. Mister Stonewell wird mir dabei sicher behilflich sein.«
    Steel lachte. »Mir ist alles recht, Cirurgicus, solange ich sitzen

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