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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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sie in sein Regal stellen, doch es ging nicht. Das Regal war zu voll. Nun gut, dann würden sie bei Isabellas Kleidern Platz finden müssen.
    Mit leichten Gewissensbissen kramte er zwischen den Stoffen, den Rüschen, den Schleifen, drückte sie zusammen und schob sie beiseite, so gut es ging, und hatte plötzlich ein Papier in der Hand. Es war ein Bogen mit einer Zeichnung darauf. Er sah näher hin und erkannte zwei Köpfe. Die Köpfe von Isabella und Odder, dem Mann, der sich zu Tode gesoffen hatte.
    Er setzte sich auf seine Koje und erinnerte sich, dass es die Zeichnung war, die Isabella bei sich trug, als er sie im Bilgenverlies der
Falcon
befreit hatte. Warum hatte sie das Papier die ganze Zeit verwahrt? Was war daran so besonders? Er betrachtete die Köpfe genauer, indem er das Papier ins Licht einer Laterne hielt. Kein Zweifel, die Zeichnungen waren von geübter Hand angefertigt. Odder, sofern er der Urheber des Kunstwerks war, hatte dunkelroten Rötel verwendet und mit feinen Strichen die Köpfe so abgebildet, dass sie einander ansahen. Isabella links, Odder rechts. Es gab eine Verbindungslinie zwischen beiden Köpfen; sie entwickelte sich aus den gefältelten Krägen und hing leicht nach unten durch. Was hatte das zu bedeuten? Sollte das eine Kette sein? Oder ein anderer Gegenstand?
    Vitus verfolgte die Linie nach links und nach rechts und erkannte einen Buchstaben. Es handelte sich um ein »e«. Es bildete einen Teil von Odders Ohr und war nur bei genauerem Hinsehen zu entziffern – wie in einem Bilderrätsel. Vitus verfolgte die Linie nach links und entdeckte in Isabellas Kopf ebenfalls Buchstaben. Es waren zwei: ein »o« und ein »l«.
    Er murmelte vor sich hin: »Von links nach rechts also ›l‹, ›o‹, dann nichts und dann bei Odder ein ›e‹. Das macht keinen Sinn. Vielleicht bilde ich mir Dinge ein, die es gar nicht gibt.«
    Er wollte das Papier fortlegen und hielt mitten in der Bewegung inne. »Ich hab’s! Die durchhängende Verbindungslinie, sie stellt ein ›v‹ dar, so dass, von links nach rechts gelesen, das Wort l-o-v-e entsteht, ›love‹! Wollte Odder damit seine Liebe gegenüber Isabella zum Ausdruck bringen?«
    Er legte die Zeichnung endgültig zur Seite und spürte Eifersucht. Isabella hatte die Abbildungen schon als Gefangene im Bilgenverlies besessen, wo Odder sie zweifellos aufzusuchen pflegte. Was hatten die beiden miteinander getrieben?
    Wohl nichts. Isabella war zu jenem Zeitpunkt viel zu schwach, um Zärtlichkeiten auszutauschen.
    Aber vielleicht war sie am Anfang noch nicht zu schwach gewesen?
    Unsinn.
    Aber was war mit dem Brief, den sie an einen gewissen Juan Amadeo de Ribera in La Coruña gerichtet hatte? Der Kerl war höchstwahrscheinlich ein Verwandter, das verriet schon der Nachname »Ribera«, der ebenfalls in ihrem Namen auftauchte. Dass der Kerl auch noch in La Coruña zu Hause war, also genau dort, wo die Armada sich vor der Überfahrt nach England gesammelt hatte, machte die Sache nur umso verdächtiger.
    Hatte Isabella, trotz ihrer verzweifelten Situation, schon auf der
Falcon
Spionage für ihr Land betrieben? Mit Hilfe von Odder?
    Hatte sie mit Hilfe von Odder ihre spanischen Landsleute wissen lassen, dass die
Falcon
zur Erkundung der Armada auslaufen würde? War deshalb die spanische Kriegsgaleone vor La Coruña aufgekreuzt und hatte der
Falcon
fast den Garaus gemacht?
    Hatte Taggart den Verlust seines Beins letztendlich Isabella zu verdanken?
    Fragen über Fragen, auf die nur Isabella eine Antwort geben konnte. Doch musste sie das überhaupt? Dass sie eine Spionin war, lag auf der Hand. Das war nichts Neues. Nur die Häufigkeit, mit der sie ihre dunklen Machenschaften betrieben hatte, war nicht bekannt.
    Er versuchte, das Knäuel seiner Gedanken zu entwirren und stellte mit einiger Beschämung fest, dass es ihm ziemlich egal war, ob und wie oft Isabella für Spanien spioniert hatte. Viel mehr störte ihn, dass da offenbar etwas zwischen ihr und Odder gewesen war.
    Wo sie nur blieb?
    Er schloss die Augen und sagte sich, dass sie jeden Augenblick kommen musste. Jeden Augenblick …
    »Oh, Liebster, du schläfst ja!« Isabella war zurück und küsste ihn auf den Mund. »Ich soll dich vom Zwerg grüßen, es geht ihm gut. Ich habe ihm frank und frei von unserer Liebe erzählt und an sein ritterliches Herz appelliert, damit er Verständnis für uns aufbringt. Ich glaube, er ist uns nicht böse, das heißt, ich bin sogar ganz sicher, obwohl ich seinen Worten

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